Bitte misch dich ein!
Auf dieser Website geht es um das grosse Thema «Zivilcourage». Ein grosses Thema ist es deshalb, weil es alle Bürgerinnen und Bürger betrifft, die in einem friedlichen, demokratischen und rechtsstaatlichen Gemeinwesen leben – und weiterhin gerne leben wollen!
Hier erfahren Sie
1., was Zivilcourage ist und was sie für die Gesellschaft bedeutet,
2., warum es oft schwer ist, Zivilcourage zu zeigen, und
3., was Sie beachten sollten, wenn Sie Zivilcourage zeigen wollen.
Am Ende der Seite finden Sie dann noch weiterführende Informationen, Hilfsangebote und Meldeadressen, vor allem zu den Themen Häusliche Gewalt, Hate Speech, Mobbing, Rassismus, Vandalismus und Sexuelle Belästigung.
1. Was ist Zivilcourage?
Das Wort Zivilcourage entstand im 19. Jahrhundert und setzt sich zusammen aus lateinisch civilis (= bürgerlich) und französisch courage (= Mut), das wiederum auf das lateinische cor (= Herz) zurückgeht; wir kennen im Deutschen ebenfalls die «Beherztheit». Zivilcourage bedeutet also wörtlich «Bürgermut»: mutiges Verhalten in einer eigentlich friedvollen, zivilen Lebenswelt, ganz im Gegensatz etwa zum Mut eines Soldaten im Krieg. Damit ist gemeint, dass es nicht immer schon grösstmögliche Gefahrensituationen braucht, um Mut zu beweisen – was die meisten Menschen ja auch dann nur notgedrungen tun, wenn überhaupt.
Sondern umgekehrt: Der couragierte Bürger begibt sich durch sein Verhalten gewissermassen absichtlich, um nicht zu sagen mut-willig in eine Gefahr, aber er hilft auf diese Weise, die friedliche Ordnung seiner Umwelt zu bewahren. Er geht aufmerksam durchs Leben und mischt sich ein, sobald er merkt, dass jemand ungerecht behandelt wird, auch wenn das mit einem Risiko für ihn selbst verbunden ist. Wenn zwei sich streiten, schaut er nicht weg.
Der nicht-couragierte Bürger hingegen, der sich bei Problemen einfach abwendet, nicht Stellung bezieht, nicht hilft und nicht eingreift, der entgeht zwar vielleicht einer momentanen Gefahr für sich selbst, aber er unterstützt damit indirekt die Kräfte, die schliesslich auch seinen bürgerlichen Frieden bedrohen.
«Wer schweigt, stimmt zu.»
Cicero, 106–43 v. Chr.
Dabei ist diejenige Gefahr, in die Zivilcourage stösst, grundsätzlich nicht eine lebensbedrohliche, sondern eine kalkulierbare, oft nicht mal eine besonders grosse. Auf welche Weise man jeweils konkret eingreift, muss allerdings gut überlegt und verhältnismässig sein. Wenn Sie z.B. beobachten, wie eine alte Dame im Bus von einer Gruppe jugendlicher Schläger angepöbelt wird, dann ist es sicher keine gute Idee, dass Sie, mit Ihrer Handtasche wedelnd, dazwischengehen – zumal wenn Sie selbst die 80 bereits überschritten haben. Doch natürlich sollten Sie sofort die Polizei rufen und ihre Mitmenschen in der Nähe auf die Situation aufmerksam machen (mehr dazu im Kapitel 3)!
Man kann sogar sagen: Dort, wo es lebensgefährlich geworden ist, Zivilcourage zu zeigen, ist die Gesellschaft bereits auf dem besten Wege, ihre demokratische Ordnung zu verlieren. In Europas Metropolen sind mittlerweile Parallelgesellschaften entstanden, die sich der Kontrolle durch rechtsstaatliche Organe weitgehend entziehen können, und auch in so manchem entlegenen Dorf «regelt man Probleme lieber unter sich». Dabei kommen antidemokratische Tendenzen längst nicht immer nur von «unten», aus radikalisierter Bevölkerung, sondern in letzter Zeit verstärkt auch wieder von «oben», von den Regierungen selbst: Mitten in Europa gibt es Bestrebungen, Minderheiten auszugrenzen, Gleichberechtigung abzuschaffen und Freiheitsrechte zu beschneiden!
Zivilcourage hat also auch diese politische Dimension. Noch ist das Kind zwar nicht in den Brunnen gefallen, aber vielerorts balanciert es deutlich sichtbar am Abgrund. Deshalb ist Zivilcourage so wichtig: Zivilcourage ist immer vorher. Eben bevor das Kind in den Diktatur-Brunnen fällt. Nachher gibt es dann allenfalls Widerstand in einem Unrechtsstaat. Und Widerstand zu leisten – unter Lebensgefahr –, ist hundertmal schwerer, als Zivilcourage zu beweisen!
«Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.»
Martin Niemöller, 1892–1984
Es gibt natürlich immer ein Restrisiko. Auch wenn der Frieden gross und die Demokratie noch intakt ist, gibt es keine Garantie, dass man aus jeder Konfliktsituation unbeschadet wieder herausfindet. Und leider hört man auch von prominenten Fällen, bei denen Menschen, die sich irgendwo mutig eingemischt hatten, verprügelt oder sogar umgebracht wurden. Das passiert selten – und ist vor allem kein Argument gegen Zivilcourage, sondern dafür! Schaut man sich nämlich solche Fälle genauer an, stellt man fest, dass die Gewaltexzesse nur deshalb möglich waren, weil die wenigen mutigen Menschen allein gelassen wurden von den vielen nicht-mutigen Menschen drumherum! Später heisst es dann gerne: «Sie waren heldenhaft!» Doch das wollten sie gar nicht sein. Es wäre ihnen lieber gewesen, wenn man sie unterstützt und nicht einfach im Stich gelassen hätte!
«Unglücklich das Land, das Helden nötig hat.»
Bertolt Brecht, 1898–1956: «Leben des Galilei»
Am besten lassen wir es gar nicht so weit kommen, dass solche Helden nötig werden, also dass Menschen sich für andere Menschen «opfern» müssen, nur weil sie für demokratische Grundwerte und Menschenrechte eintreten! Das setzt natürlich voraus, dass es eine Mehrheit in der Bevölkerung gibt, die diese Rechte und Werte nicht nur theoretisch «irgendwie vielleicht eher befürworten» würde, sondern ganz praktisch danach lebt, sie verinnerlicht hat und sich auch sofort persönlich angegriffen fühlt, wenn sie verletzt werden. Egal wo, wann und von wem.
«Gerechtigkeit herrscht dann, wenn ein Verbrecher von allen, denen er nicht geschadet hat, ebenso angeklagt und verurteilt wird wie von einem, dem er tatsächlich etwas angetan hat.»
Solon, ca. 640–560 v. Chr.
Die Werte und Rechte übrigens, um die es hier geht, heissen unter anderem: Recht auf Freiheit, Recht auf Gleichheit, Recht auf körperliche Unversehrtheit. Kein Mensch darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Hautfarbe, seiner sexuellen Orientierung, seiner politischen, religiösen oder sonstigen Meinungen und Überzeugungen benachteiligt werden, nicht im Beruf und nicht im privaten Leben. Es geht um das wohlbekannte Prinzip «Leben und leben lassen». Es geht um die goldene Ethik-Regel «Was du nicht willst, das man dir tu’, das füg’ auch keinem andern zu.» Es geht letztlich um die Würde des Menschen.
«Die Menschenrechtsverletzungen von heute sind die Massaker von morgen.»
Kofi Annan, 1938–2018
An dieser Stelle sollten Sie sich einmal selbst ehrlich fragen: «Sind all diese Werte eigentlich auch meine Werte?» Mit dieser Gretchenfrage steht und fällt nämlich Ihre Zivilcourage. Denn wenn Ihnen die genannten Werte als gültige soziale Spielregeln nicht wichtig wären, wenn es Ihnen eigentlich vollkommen egal wäre, wie der Nachbar seine Kinder behandelt oder ob Frau Lüthi im Büro mit immer fieseren Mitteln langsam in den Wahnsinn gemobbt wird oder ob der schwule Urs besser doch nicht auf die Party eingeladen werden sollte, weil man ja auch den homophoben Peter eingeladen hat und keinen Ärger will, wenn Sie also eigentlich der Ansicht wären, das alles ginge Sie gar nichts an – dann wäre es auch sinnlos, von Ihnen zu erwarten, dass Sie irgendwo Zivilcourage beweisen…
Warum handeln Sie zivilcouragiert? Weil Sie es wollen! Nicht weil Sie es sollen.

Sie haben den kleinen Film am Anfang gesehen? Der ist natürlich symbolisch zu verstehen. Allerdings könnte man die Frage stellen, warum die Wirtin erst am Schluss eingreift, als der jungen Mann rauchen will, und nicht schon vorher, beim «bösen» Spiel der Herren mit den schwarzen Karten…
Könnte es daran liegen, dass sie sich beim Rauchverbot auf ein klar formuliertes Gesetz berufen kann, während sich die Begriffe der bösen Herren oft in einer rechtlichen Grauzone befinden? Denn: «Ist es einfach nur ein lustiger Witz mit einem Schwarzen, einem Chinesen, einem Juden und einem Araber, oder ist es schon Rassismus?»; «Ist das peinliche Betriebsfest-Foto an der Pinnwand eine harmlose Neckerei unter guten Kollegen, oder ist es schon Mobbing?»; «Schnitzen da einfach zwei Verliebte ihre Namen in einen wertlosen alten Tisch, oder ist es schon Vandalismus?»; «Ist es ein anerkennender Schulterklopfer des Chefs für gute Arbeitsleistung, oder ist es eher ein unangebrachtes Streicheln, also schon sexuelle Belästigung?» Immer kommt es auf den Zusammenhang und die Umstände an – auch das macht es ja so schwierig.
Konzentrieren wir uns auf diejenigen Aspekte, die sowohl in der Filmszene als auch im richtigen Leben für die Zivilcourage von Bedeutung sind. Erstens: Der junge Mann ist aufmerksam: Er schaut hin, nicht weg. Zweitens: Er überprüft, ob Grundwerte und Menschenrechte verletzt werden. Drittens: Er steht zu diesen Werten, überwindet seine Furcht und mischt sich ein. Dabei sind es namentlich zwei Haltungen bzw. Verhaltensweisen, die er einfordert, um die Werte zu verteidigen: Respekt und Toleranz.
Respekt bedeutet «Rücksicht» und lenkt den Blick von den eigenen Interessen auf die Interessen der anderen. Das setzt voraus, dass sich die anderen grundsätzlich immer im Besitz von Rechten befinden, die es auch für mich zu achten gilt und die allenfalls mit meinen eigenen in Einklang zu bringen sind – wieder eine zutiefst freiheitlich-demokratische Rechtsvorstellung. So sollte rücksichtsvolles Verhalten das Zusammenleben überall erleichtern können, im Strassenverkehr und in der Familie, beim Business wie beim Sport, zwischen den Geschlechtern und zwischen den Generationen. Natürlich nur, wenn die Rücksichtnahme nicht einseitig, sondern in alle Richtungen und von allen Beteiligten praktiziert wird.
Doch der Begriff «Respekt» wird gerne missbraucht: Wenn z.B. eine Rockerbande mit zwanzig gewaltbereiten Mitgliedern in eine Bar kommt und «Respekt» verlangt, dann ist das lediglich ein Hinweis auf ihre behauptete Überlegenheit für den Fall einer körperlichen Auseinandersetzung. «Zeige Respekt!» soll hier heissen: «Wir sind stärker, unterwirf dich!» Auch in der Jugendszene – nicht selten, wenn es einen Migrationshintergrund gibt, und üblicherweise in Bezug auf religiöse und familiäre Zusammenhänge («Du hast meine Religion beleidigt!» oder «Du hast meine Mutter beleidigt!») – ist der Vorwurf von Mangel an Respekt zumeist nur ein Vorwand und eine Rechtfertigung für brutale Gewalthandlungen. Mit Respekt hat das alles nichts zu tun.
Echter Respekt ist immer gegenseitig und kann nicht durch Einschüchterung und Drohung erzwungen werden. Echter Respekt ist an die Menschenrechte gebunden und achtet die Würde des Menschen.
«Die wahre Ehrfurcht geht niemals aus der Furcht hervor.»
Marie v. Ebner-Eschenbach, 1830–1916
Ähnlich verhält es sich mit dem Begriff der Toleranz: Er bezeichnet eigentlich eine positive, freiheitsliebende und Gleichberechtigung anerkennende Einstellung, kann aber auch schnell in sein Gegenteil verkehrt werden – je nachdem, worauf er sich richtet. Dann gilt plötzlich wieder die «Null-Toleranz» als erstrebenswert…
Toleranz kommt vom lateinischen Verb tolerare (= ertragen, aushalten) und heisst dementsprechend ursprünglich soviel wie Geduld oder Duldsamkeit. Doch darüber, was denn nun geduldig ertragen werden soll, gehen die Meinungen in den Kulturen erheblich auseinander.
Während die einen z.B. den Anblick einer Moschee in ihrer kirchlich geprägten Landschaft als unerträglich empfinden, können die anderen bereits den Anblick eines unverhüllten, lächelnden Frauengesichts in der Öffentlichkeit nicht aushalten, ohne dass – ja was eigentlich? Die einen verlangen, dass man ihre Intoleranz tolerieren soll, da sie glauben, diese sei gottgewollt. Und die anderen glauben, dass man bereits den Glauben an gottgewollte Intoleranz nicht einfach tolerieren sollte. So kommen wir nicht weiter.
Wieder scheint es am besten, wenn man in einem freiheitlichen, demokratischen und rechtsstaatlichen Gemeinwesen den Begriff der Toleranz an die Menschenwürde und die Menschenrechte koppelt, sozusagen als kleinstem gemeinsamen Nenner. Was diesen zuwiderläuft, ist nicht mehr tolerierbar. Was diesen zuwiderläuft, mag dann wohl Glaubenssache sein, ist aber weder freiheitlich noch rechtsstaatlich noch demokratisch.
Doch abgesehen von den grossen politischen und religiösen Fragen hat Toleranz noch eine ganz praktische Bedeutung im Alltag. Toleranz heisst auch einfach: Grosszügigkeit. Wer tolerant ist, vermeidet Überreaktionen, Kleinlichkeit und Rechthaberei. Man muss nicht immer gleich die Polizei rufen, wenn die Party des Nachbarn auch nach 23 Uhr noch deutlich zu hören ist. Vielleicht sollten wir einfach mal hinübergehen und ein Gläschen mittrinken… Man muss auch nicht gleich giftig werden, wenn sich jemand beim Bäcker vordrängelt; vielleicht hat er es wirklich nicht mit Absicht getan! Toleranz schützt vor Verspiesserung und Denunziantentum. Wer es sich zum Hobby macht, seine Mitmenschen beim falschen Parkieren zu erwischen und anzuzeigen, tut weder sich noch der Demokratie einen Gefallen. Wer im Büro ständig alle anderen massregelt, wird einsam. Übrigens hat auch der junge Mann in unserem Film zunächst versucht, tolerant zu bleiben, und ist erst aufgestanden, als er zum dritten Mal gestört wurde.
Aber: Toleranz hört dort auf, wo Vorurteile massgeblich, Rücksichtslosigkeit systematisch und Belästigung absichtlich werden. Natürlich auch bei gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit als Haltung und bei falschen Tatsachenbehauptungen, also z. B. wenn jemand sich mit rassistischen Witzen profilieren will oder im Vorbeigehen einen Völkermord leugnet. Und sowieso dort, wo echte Gefahr für Leib und Leben droht, wo Gewalt ins Spiel kommt. Bis dahin jedoch sollten sich alle – so gut es geht – um Toleranz bemühen!
«Toleranz ist gut. Aber nicht gegenüber den Intoleranten.»
Wilhelm Busch, 1832–1908
2. Keine Angst vor Zivilcourage!
Warum ist es eigentlich so schwer, Zivilcourage zu zeigen? Ein Grund ist sicher die bereits genannte Tatsache, dass sich etliche Situationen, bei denen Zivilcourage wünschenswert wäre, in einer rechtlichen Grauzone befinden. Hier jeweils eine klare Grenze zu ziehen («Das geht zu weit! Jetzt reicht’s!»), trauen sich viele Menschen einfach nicht zu. Doch leider gerade auch dann, wenn die Situation eindeutig und voller Gewalt ist, also z. B. wenn jemand wehrlos am Boden liegt und weiterhin brutal getreten wird, sind die Herumstehenden oft nicht imstande einzugreifen.
Forschende in der Sozialpsychologie haben versucht herauszufinden, woran das liegt, und nennen vor allem vier Gründe für dieses Nicht-Handeln:
Pluralistische Ignoranz
Dieser Begriff bezeichnet das Phänomen, dass Menschen, die zu einer Gruppe hinzukommen, das (passive) Verhalten dieser Gruppe zumeist als begründet interpretieren und sich deshalb diesem Verhalten anpassen, auch wenn sie den Sachverhalt, um den es geht, selbst vielleicht anders einschätzen würden. Im Extremfall kann es also sein, dass zwanzig Personen am Strand zuschauen, wie jemand im Meer ertrinkt, weil jeder einzelne glaubt, alle anderen hätten einen guten Grund, nicht zu helfen. Man hat feststellen können, dass allein die Anwesenheit mehrerer Zuschauer/Zuschauerinnen die Wahrscheinlichkeit von Hilfeleistungen in einer Notsituation erheblich senken kann.
Verantwortungsdiffusion
Wird jemand zum Teil einer Menschenmenge, gewollt oder ungewollt, so tendiert er dazu, die Verantwortung für das eigene Handeln schwächer zu empfinden, gewissermassen auf alle anderen zu übertragen – zumal wenn er eine eindeutig ihm persönlich zugewiesene Verantwortlichkeit nicht erkennen kann. Er macht dann einfach, was die Masse macht, und setzt voraus, dass die Masse schon wissen wird, was zu tun ist. Da aber das Aufmerksamwerden und Hingucken bei jeder Not- oder Gefahrensituation die spontane erste Reaktion sein muss, bevor man handeln kann, sorgen pluralistische Ignoranz und Verantwortungsdiffusion leider oft dafür, dass aus dem Hingucken ein allgemeines Gaffen wird und es zum nächsten Schritt, dem helfenden Eingreifen, gar nicht mehr kommt.
Angst vor Blamage
Der Schritt eines Individuums aus der Masse heraus erscheint vielen Menschen wie der Schritt auf eine Bühne, und deshalb glauben sie, ihn nicht tun zu können. Denn viele Menschen haben Angst davor, sich zu exponieren, sie möchten lieber im Hintergrund bleiben, gar nicht auffallen. Sie fürchten, sich zu blamieren, indem sie die Situation vielleicht doch falsch einschätzen oder am Ende nicht bewältigen können, und dann dafür ausgelacht werden – so wie ja auch der junge Mann aus dem Film sich zunächst dem Hohn und Spott der Stammtischrunde ausgesetzt sah.
Angst um Leib und Leben
Vor allem bei Prügeleien oder Pöbeleien mit offensichtlich gewaltbereiten Teilnehmern gehen viele Menschen auch deshalb nicht dazwischen, weil sie Angst haben, selbst zum Opfer körperlicher Gewalt zu werden. Das ist verständlich. Dass sie aber einfach weitergehen, als hätten sie nichts gesehen, anstatt sofort die Polizei zu rufen, und nicht in der Nähe bleiben, um gegebenenfalls dem Opfer zu helfen, wenn die Täter bereits verschwunden sind, ist weniger nachvollziehbar.
Diese vier Ängste und Psycho-Mechanismen müssen überwunden werden, wenn wir für das Wohlergehen unserer Mitmenschen Verantwortung übernehmen wollen. Was man beachten sollte, wenn man etwas tun will, steht im dritten und letzten Abschnitt.
3. Was kann ich tun?
Die gute Nachricht: Zivilcourage kann man lernen!
Wichtige Voraussetzungen dafür sind das stabile Wertegerüst und das Bewusstsein für die möglichen sozial-psychologischen Probleme in einer konkreten Bedrohungssituation.
Anders formuliert: Wenn Sie plötzlich bemerken, dass jemand in Ihrer Nähe unfair behandelt oder körperlich attackiert wird, und Ihnen diese Situation gleichzeitig irgendwie Angst macht, dann handelt es sich vermutlich um eine Situation, die Ihre Zivilcourage erfordert!
Wer beide Voraussetzungen mitbringt, der sollte schliesslich die folgenden «Sechs Regeln für den Ernstfall» beachten:
Sechs Regeln für den Ernstfall
1. Gefahrlos handeln
Gemeint ist hier die Gefahr für Leib und Leben: Niemand möchte, dass Sie ebenfalls ein Opfer werden, wenn Sie einem Opfer helfen wollen. Eine Gefahr hingegen, bei der Sie nicht körperlich bedroht sind, also z. B. die Gefahr, sich zu blamieren, falls später irgendwo eine «versteckte Kamera» auftauchen könnte, sollten Sie eingehen! (Und wenn dann wirklich eine versteckte Kamera auftaucht, haben Sie immer noch die Möglichkeit, eine Ausstrahlung zu verhindern, siehe unsere Broschüre Das eigene Bild: Alles, was Recht ist.)
2. Mithilfe fordern
Sprechen Sie sofort andere Zuschauer/Zuschauerinnen an, fragen Sie sie nach ihrer Einschätzung der Situation. So begegnen Sie nicht nur wirksam den beiden oben genannten Psycho-Fallen «Verantwortungsdiffusion» und «pluralistische Ignoranz», sondern finden womöglich schnell andere Menschen, die ebenfalls einzugreifen bereit sind.
3. Genau hinsehen
Worum geht’s? Wer hat was gesagt, wer hat zuerst zugeschlagen? Um Täter/Täterinnen zur Rechenschaft ziehen zu können, ist es wichtig, dass man sie später eindeutig indentifizieren und den Tathergang rekonstruieren kann. Für eine Zeugenaussage ist Ihre genaue Beobachtung also von grosser Bedeutung.
4. Hilfe holen
Wenn eine Situation zu eskalieren droht oder die Prügelei bereits in vollem Gange ist, rufen Sie bitte sofort die Polizei: Tel. 117! Das gilt auch für häusliche Gewalt: Ignorieren Sie nicht die Schlaggeräusche, die Schmerzensschreie der Frau und das Weinen der Kinder aus der Nachbarwohnung, nur weil am nächsten Tag alle wieder freundlich grüssen! Aus Sicht der Opfer ist es bestimmt besser, einmal zu früh die Polizei gerufen zu haben, als einmal zu spät.
5. Opfer versorgen
Wenn Sie bei einer Gewalttat nicht eingreifen können, gehen Sie trotzdem nicht weg, sondern warten Sie in der Nähe, um dem Opfer zu helfen, sobald die Täter/ Täterinnen verschwunden sind. Mit einem Erste-Hilfe-Kurs sind Sie für solche Fälle, aber auch für Unfälle in anderen Lebensbereichen, gut gerüstet.
6. Zeugenaussage machen
Bitte stellen Sie sich als Zeuge/Zeugin zur Verfügung, wenn die Polizei am Tatort eingetroffen ist. Vielleicht haben Sie ein entscheidendes Detail beobachtet, das zu den Tätern/Täterinnen führt. Das Opfer wird es Ihnen danken, denn die beste Opfertherapie ist immer noch die Bestrafung der Täter/Täterinnen.
«Wehret den Anfängen!»
Ovid, 43 v. Chr.–17 n. Chr.
Sozialer Zusammenhalt, Mitmenschlichkeit und Anstand lassen sich nicht erzwingen. Am Ende ist jeder Mensch selbst dafür verantwortlich, wie er mit seiner Familie, den Nachbarn und allen anderen Menschen in seiner Umgebung umgeht. Doch es kann nicht falsch sein, sich für Fairness und Gerechtigkeit einzusetzen und Schwächeren zu helfen.
Ohne Zivilcourage haben wir alle schlechte Karten. Bitte mischen Sie sich ein!
Weiterführende Informationen, Hilfsangebote und Meldeadressen
Häusliche Gewalt
Infos der SKP
Video der SKP
Opferhilfe Schweiz
Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde KESB
Schweizerische Konferenz gegen Häusliche Gewalt SKHG
Eidg. Büro für Gleichstellung EBG
Mobbing
Infos der SKP
Video der SKP
Verzeichnis der polizeilichen Jugenddienste der Schweiz
147.ch, Pro Juventute
Jugend und Medien, Nationale Plattform zur Förderung von Medienkompetenz
Sexuelle Belästigung
Infos der SKP
Opferhilfe Schweiz
lilli.ch: Beratung zu Sexualität, Verhütung, Beziehung, Gewalt, Körperfragen und persönlichen Problemen
Belästigung am Arbeitsplatz
Eidg. Büro für Gleichstellung EBG
Hate Speech
Infos der SKP
Meldeplattform für rassistische Online-Hassrede
Stop Hate Speech
Jugend und Medien, Nationale Plattform zur Förderung von Medienkompetenz
Rassismus
Meldeplattform für rassistische Online-Hassrede
Fachstelle für Rassismusbekämpfung, Eigd. Departement des Innern EDI
Vandalismus
Hintergrundwissen
www.zivilcourage-portal.ch: Das Zivilcourage-Portal der Universität Zürich stellt wissenschaftliche Informationen zum Thema sowie weiterführende Links zur Verfügung.
www.gra.ch: Die Schweizer Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA) setzt sich für die Menschenrechte und die Erhaltung der Demokratie Schweizer Prägung ein. Die GRA steht für Toleranz und gegen jede Art der Diskriminierung.
www.feel-ok.ch: Diese Plattform bietet Informationen und Tools für Jugendliche zwischen 12 – 20 Jahren zur Bewältigung von Stress und zur Gesundheitsförderung.
Trainings
www.stattgewalt.ch: Der StattGewalt-Rundgang bietet Interessierten die Möglichkeit, ihr «Einmischen» zu trainieren. Die brenzligen Szenen werden von Schauspielerinnen und Schauspielern inszeniert. So kann Zivilcourage aktiv geübt werden, und man gewinnt Sicherheit für einen allfälligen Ernstfall.
www.ncbi.ch: Der Verein «National Coalition Building Institute Schweiz» setzt sich gegen Diskriminierung (Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Sexismus, Homophobie u.a.) und gegen Gewalt ein, indem sie an verschiedenen Orten in der Schweiz Workshops und Projekte durchführt.
Schutz von Minderheiten
www.gms-minderheiten.ch: Der Verein Minderheiten in der Schweiz GMS ist politisch unabhängig und überkonfessionell. Mit breit gefächerten Aktivitäten setzt er sich für die Rechte und den Schutz von Minderheiten ein.
www.set-toleranz.ch: Die Stiftung SET erarbeitet und fördert Lehrmittel, Unterrichts- und Informationsmaterial, die dem friedlichen Zusammenleben in unserer pluralistischen Gesellschaft dienen. Speziell werden Toleranz und Respekt zwischen Jugendlichen untereinander und gegenüber Erwachsenen gefördert.
www.skmr.ch: Das Schweizerische Kompetenzzentrum für Menschenrechte (SKMR) ist ein Pilotprojekt im Auftrag des Bundes. Es hat die Aufgabe, den Prozess der Umsetzung internationaler Menschenrechtsverpflichtungen in der Schweiz zu fördern und Behörden auf allen Stufen, die Zivilgesellschaft und die Wirtschaft dabei zu beraten und zu unterstützen.