Zivilcourage oder Schaulust – Ein Blick auf unser Verhalten in Notsituationen
| Fabian Ilg
Es passiert gerade ein Unfall, eine gewalttätige Auseinandersetzung auf offener Strasse oder jemand braucht offensichtlich Hilfe. Während einige nur beobachten oder sogar behindern, greifen andere beherzt ein, leisten Erste Hilfe, rufen die Polizei oder versuchen, Schlimmeres zu verhindern.
Schaulustige sind Menschen, die aus Neugier oder Sensationsgier an einem Ort des Geschehens verweilen, ohne aktiv Hilfe zu leisten. Sie zücken ihr Smartphone, filmen oder fotografieren und posten ihre Beiträge kommentiert auf den sozialen Medien. Oft blockieren sie dabei die Einsatzkräfte oder stehen schlichtweg im Weg. Dabei vergessen sie völlig, dass sie nicht Zuschauer eines Films sind, sondern Teil einer realen und womöglich lebensbedrohlichen Situation. Dieses Verhalten ist nicht nur moralisch fragwürdigt, sondern kann auch straf- oder zivilrechtlich relevant sein, etwa durch unterlassene Hilfeleistung (Art 128 StGB), oder durch das Verbreiten von Bildern einer beteiligten Person (Art. 28 ZGB, Art. 15 DSG).
Schaulust ist kein neues Phänomen. Bereits im alten Rom füllten Menschen die Arenen, um bei Gewalt und Totschlag zuzusehen. Auch da gab es bereits ein Daumen hoch oder Daumen runter. Schaulust ist aber ein Phänomen, das mit der digitalen Welt an Faszination gewonnen hat. Die durch die mediale Abstumpfung mehr und mehr verschwommene Grenze zur Realität, der Impuls ein exklusives Video zu posten, die Diffusion von Verantwortung (es hilft bestimmt jemand anderes) oder schlicht die bereits beschriebene Gier können Gründe für ein passives Verhalten sein. Schaulust normalisiert das “Wegsehen”!
Doch wenn diese Verhaltensweisen und Mechanismen erkannt werden, kann das der erste Schritt zu einer positiven Veränderung sein.
Während also Schaulustige passiv oder hemmungslos konsumieren, handeln zivilcouragierte Menschen aktiv und verantwortungsbewusst. Zivilcourage heisst nicht, sich blindlings in Gefahr zu begeben, sondern klug und mutig Menschen in Gefahr zu helfen. Sei es durch einen Anruf bei der Polizei, das Sichern eines Unfallortes, dem Leisten von erster Hilfe oder das gezielte Ansprechen anderer Umstehender.
Zivilcourage erfordert also keine Heldentat, sondern Mitmenschlichkeit und Verantwortungsbewusstsein.
Wie kann Zivilcourage gefördert werden? Durch Aufklärung und Sensibilisierung, z.B. bereits an Schulen kann vermittelt werden, wie man in Notlagen handelt und warum Gaffen kein Kavaliersdelikt ist. Wer selbst Zeuge oder Zeugin ist, kann Schaulustige direkt ansprechen oder durch das Handeln Vorbild sein und andere inspirieren.
Schaulustige und couragierte Menschen stehen oft nah beieinander. Der Unterschied liegt in der Regel darin, ob wir wegsehen oder handeln, ob wir nur konsumieren oder Verantwortung übernehmen. In einer Gesellschaft, die hinschaut und eingreift haben Täter weniger Raum und Opfer mehr Schutz.
Weitere Informationen zum Thema finden Sie auf unserer Webseite: Schweizerische Kriminalprävention | Bitte misch dich ein!
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