| Gastbeitrag

Jedes Jahr werden in der Schweiz Frauen, Männer und manchmal auch Minderjährige für ihre Arbeit ausgebeutet. Sie arbeiten als Hausangestellte, in der Gastronomie, im Pflegebereich oder im Baunebengewerbe. Wenn unwürdige und ausbeuterische Arbeitsbedingungen mit Drohungen, Gewalt oder dem Missbrauch von Schutzbedürftigkeit kombiniert werden, kann es sich um Menschenhandel handeln, ein Verbrechen, das allzu oft unsichtbar bleibt. Die Öffentlichkeit kann helfen, indem sie aufmerksam beobachtet, ausbeuterische Situationen bei der Polizei meldet oder die Betroffenen an Organisationen verweist, die auf die Unterstützung und Begleitung solcher Opfer spezialisiert sind.

Worum geht es?

Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft ist die Anwerbung von oder der Handel mit Menschen, um ihre Arbeitskraft auszubeuten. Die Ausbeutung betrifft meist Menschen in einer schutzbedürftigen Lage, die von ihren Arbeitgebern ausgenutzt wird, um sie zu unwürdigen Arbeitsbedingungen zu zwingen, die weit unter dem in dem betreffenden Wirtschaftssektor üblichen Niveau liegen. Diese Ausbeutung kann verschiedene Aspekte des Arbeitsverhältnisses betreffen, wie z. B. die Lohnzahlung, die Arbeitszeit, die Unterbringung oder die Sicherheit am Arbeitsplatz. Menschenhändler täuschen und bedrohen ihre Opfer oder wenden physische oder psychische Gewalt an, um sie zu zwingen, die von ihnen erwartete Arbeit zu leisten. Das Besondere an solchen Situationen ist, dass die Opfer wie eine Ware behandelt und unter Zwang gesetzt werden. Menschenhandel ist ein Verbrechen, das nach Artikel 182 des Strafgesetzbuchs mit einer Strafandrohung bis zu 20 Jahren geahndet wird.

Einige Beispiele:

Im Kanton Bern wurden Frauen mit dem Versprechen einer einfachen und gut bezahlten Arbeit und der Aussicht auf eine Arbeitsbewilligung in die Schweiz gelockt. In der exklusiven Ferienregion Gstaad mussten sie jedoch für einen Hungerlohn enorme Arbeitsleistungen erbringen, ohne Arbeitserlaubnis, ohne sich frei bewegen zu können und unter unsicheren Bedingungen. Sie schliefen auf Matratzen auf dem Boden oder auf Liegestühlen. Die sanitären Einrichtungen waren minimal.
Medienmitteilung zum Ermittlungsabschluss der Kantonspolizei Bern

Im Kanton St. Gallen stellte ein schweizerisch-brasilianisches Ehepaar eine Hausangestellte über die Schwester der Ehefrau in Brasilien ein. Die junge Brasilianerin reiste mit einem dreimonatigen Visum in die Schweiz ein. Gleich zu Beginn nahmen ihre Arbeitgeber ihr das bereits gebuchte Rückflugticket ab. Von Anfang an wurden die mündlich vereinbarten Arbeitsbedingungen mit Füssen getreten: Die Angestellte hatte keine Freizeit und erhielt einen Monatslohn von 100 CHF statt der versprochenen 2000 CHF. Die Arbeitnehmerin wurde wiederholt des Diebstahls beschuldigt, wobei diese Beschuldigungen zur Rechtfertigung des unanständigen Lohns, der ihr gezahlt wurde, herangezogen wurden. Die sozialen Beziehungen der Arbeitnehmerin wurden von der Arbeitgeberin immer stärker kontrolliert, und sie drohte ihr mit Gewalt. Der Fall wurde von Nachbarn entdeckt, die die Polizei informierten. Das Paar wurde wegen Menschenhandels, Förderung des illegalen Aufenthalts mit dem Ziel der Bereicherung und Beschäftigung einer ausländischen Person ohne Bewilligung schuldig gesprochen und verurteilt.
Arbeitsausbeutung im Kontext von Menschenhandel – SFM Studies #65d – März 2016 (unine.ch)

Ein litauischer Bauunternehmer hat mehrere Jahre lang ausländische Arbeiter für mehrere seiner Baustellen in den Kantonen Genf, Waadt und Wallis angeworben und ausgebeutet. Die Arbeiter wurden insbesondere über das Internet mit dem Versprechen eines Stundenlohns in der Grössenordnung von 10 Euro angeworben. Die meisten von ihnen erhielten schliesslich einen Stundenlohn von 0,20 bis 6,50 CHF. Da sie keine finanziellen Mittel hatten, konnten die Opfer die Schweiz nicht verlassen und blieben unter der Kontrolle ihres Arbeitgebers, der ihre schutzlose Lage ausnutzte. Die Arbeiter hatten weder einen schriftlichen Arbeitsvertrag noch Anspruch auf Schutzkleidung oder Sicherheitsvorkehrungen, wenn sie auf Dächern arbeiteten. Sie wohnten unter prekären Bedingungen und hatten nicht genügend zu essen. Der Arbeitgeber wurde wegen Menschenhandels zu sechs Jahren Haft verurteilt.
Genève – Condamné à six ans pour traite d’êtres humains | 24 heures (Französisch)

Welche Wirtschaftssektoren sind in der Schweiz risikobehaftet?

Die Wirtschaftssektoren mit dem grössten Risiko in der Schweiz sind die Hauswirtschaft, das Baugewerbe, das Gastro- und Hotelgewerbe, den Pflegebereich und die Landwirtschaft. Manchmal kann es zu einer Ausbeutung der Arbeitskraft in Kombination mit sexueller Ausbeutung oder sexuellem Missbrauch kommen. Solche Situationen wurden in der Hauswirtschaft oder im Reinigungsgewerbe gemeldet.

Gemäss der Polizeilichen Kriminalstatistik wurden 2022 im Rahmen von polizeilichen Ermittlungen 18 Personen des Menschenhandels zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft beschuldigt. Die Schweiz beteiligte sich an den von Europol koordinierten gemeinsamen Anstrengungen im Rahmen der Joint Action Days im Juni 2023, die speziell auf die Aufdeckung und Verfolgung dieser Art von Menschenhandel ausgerichtet waren. Mehr als 1000 Personen wurden in einem Dutzend Kantonen überprüft, wobei neun potenzielle Opfer aus Vietnam, Afghanistan, Nepal und Indien identifiziert wurden. Drei Personen, die des Menschenhandels verdächtigt wurden, wurden festgenommen. Die Kontrollen wurden in Restaurants, in Pflegeeinrichtungen, im Baugewerbe und im Bereich der Essenslieferung durchgeführt.

Im Allgemeinen erhöhen die folgenden Faktoren das Risiko von Ausbeutung der Arbeitskraft:

  • Schmutzige, riskante und entwürdigende Arbeit
  • Nachfrage nach billigen und flexiblen Arbeitskräften
  • Gewinnspannen möglichst knapp kalkuliert; Personalkosten machen einen grossen Teil der Produktionskosten aus (z. B. unterbezahlte Praktikanten)
  • Geringe Qualifikationsanforderungen
  • Beauftragung von Subunternehmern

Wie erkenne ich eine Situation des Menschenhandels?

Das Erkennen einer Situation, in der Menschenhandel vorliegt, ist Sache von Spezialisten. Es gibt jedoch zahlreiche Hinweise, anhand derer potenzielle Opfer erkannt werden können, um ihnen Zugang zu fachkundiger Beratung zu verschaffen. Die Tatsache, dass die Personen nicht unsere Sprache sprechen und ständig von einem Vermittler und/oder Dolmetscher begleitet werden, dass sie am Arbeitsplatz schlafen, mehr als die vorgeschriebene Zeit arbeiten, ständig überwacht werden, nervös, ängstlich, misstrauisch oder wortkarg wirken, sind nur einige Beispiele für Indikatoren, die auf einen Fall von Menschenhandel hindeuten können. Diese Liste ist nicht abschliessend, und wenn Ihnen andere Situationen oder Verhaltensweisen nicht richtig erscheinen, ist es wichtig, dass Sie darüber sprechen.

Was kann ich tun?

Bei starkem Verdacht können verdächtige Situationen bei der Polizei angezeigt werden. Es ist auch möglich, potenzielle Opfer an spezialisierte NGOs zu verweisen, die sich zu einer nationalen Plattform zusammengeschlossen haben, oder sich als Zeuge einer potenziellen Situation von Menschenhandel an diese NGOs zu wenden.

Kategorien: Allgemein

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