| Chantal Billaud

Frauen werden im öffentlichen Raum immer häufiger belästigt oder man redet zumindest – und zu Recht – häufiger darüber oder beides. Auch wenn das öffentliche Leben zurzeit eher stillsteht, ist dieses Thema in der Prävention sehr aktuell und dies grundsätzlich. Grundsätzlich meint in diesem Zusammenhang die Tatsache, ob und wie sich die Kriminalprävention überhaupt in dieser Thematik äussern kann und darf.

Unseres Wissens wurden letzthin mindestens zwei Polizeikorps wegen ihren Verhaltenstipps für Frauen im öffentlichen Raum kritisiert. Auch die Schweizerische Kriminalprävention wurde deswegen schon angegriffen. Was wird denn nun genau vorgeworfen? In allen Fällen ging es darum, dass Behörden Frauen raten, sich so oder so zu verhalten, damit sich das Risiko, Opfer von gewalttätigen und sexuellen Angriffen zu werden, vermindern soll. Wir alle haben also Risikoverhalten angesprochen und aufgezeigt, wie dieses Risiko möglichst klein gehalten werden kann. Die Ratschläge reichen von «sich nicht nachts betrunken alleine auf den Heimweg zu begeben» bis zu «gut beleuchtete Wege zu nutzen».

Kritisiert wurden aber nicht die einzelnen Tipps per se, sondern dass Frauen überhaupt Ratschläge gegeben werden. Die Argumente: Nicht potentielle Opfer müssen ihr Verhalten ändern, sondern potentielle Täter. Der öffentliche Raum gehöre allen und alle sollen sich frei und sicher darin bewegen können. Dem kann wohl kaum widersprochen werden, aber ist es auch ein Argument gegen Verhaltenstipps?

Präventionsarbeit – zumindest so, wie wir sie verstehen – sollte immer dreifach wirken, wo immer es Sinn macht: Bei den potentiellen Opfern, bei den potentiellen Tätern und Täterinnen und bei deren sozialem Umfeld. Und dies selbstverständlich unabhängig vom Geschlecht von Opfern und Tatpersonen und unabhängig von der Art der Massnahme.

Verhaltenspräventions-Tipps richten sich in aller Regel an potentielle Opfer.

Verhaltenspräventions-Tipps richten sich in aller Regel an potentielle Opfer. Es versteht sich von selbst, dass es kaum je Sinn macht, potentielle Tatpersonen mit Ratschlägen von kriminellen Taten abhalten zu wollen. Im Besondern gilt dies bei Gewalt- und Sexualtäter*innen, die im Affekt resp. unter Drogeneinfluss handeln. Und genau dieses «Klientel» trifft man häufig an, wenn Frauen im öffentlichen Raum belästigt werden.

Prävention, die sich an Gewalt- und Sexualstraftäter*innen richtet, muss fundamentaler ansetzen. Hierbei sind Haltungsänderungen im Fokus und diese werden mit Schulungen und Sensibilisierungsarbeit breit und frühzeitig am besten erreicht. Dies ist aber nicht in erster Linie Aufgabe der Polizei, sondern vieler staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen. Nicht zu vergessen ist zudem der generalpräventive, also abschreckende Charakter der Repression. Sexuelle Belästigung ist eine Straftat und das wissen meist auch die Täter*innen. Wenn sich die Chance erhöht, dass Täter*innen für ihr Handeln zur Rechenschaft gezogen werden, kann dies durchaus abschreckend wirken: für Andere oder für eine Wiederholungstat. Dafür muss die Polizei aber Kenntnis von den Geschehnissen haben und dies so rasch als möglich.

Präventionsarbeit sollte immer dreifach wirken: Bei den potentiellen Opfern, bei den potentiellen Tätern und Täterinnen und bei deren sozialem Umfeld.

In diesem Sinn dennoch ein weiterer, präventiver Ratschlag an belästigte Personen: Erstatten Sie umgehend Anzeige auf dem nächstliegenden Polizeiposten oder rufen Sie immer sofort die Polizei über Tel. 117!

Bis also in einer idealen Welt echte Gleichberechtigung und das Recht auf ein angstfreies, unversehrtes Leben auch im öffentlichen Raum erreicht ist, setzen wir weiterhin auf einen pragmatischen Ansatz: Das eine tun und das andere nicht lassen. Denn eines ist sicher; ob Polizei, Kriminalprävention oder Frauenrechtsorganisation, alle wollen im Endeffekt dasselbe; möglichst keine Opfer von sexueller Gewalt oder sonstigen Verbrechen und Vergehen. Sehen wir unsere Bemühungen als komplementär und verschwenden wir keine Energie mit Grabenkämpfen.

Kategorien: Gewalt, Meinung

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