
Gemeinsam ohne sexuelle Gewalt
Mit unserer Kampagne «Gemeinsam ohne sexuelle Gewalt» möchten wir ein allgemeines Bewusstsein dafür schaffen, wie alltäglich sexuelle Gewalt in unserer Gesellschaft leider ist und dass wir gemeinsam gegensteuern müssen. Deshalb haben wir als Kernstück unserer Kampagne ein «Gütesiegel» entworfen, für eine Gesellschaft, die es zwar im Moment (noch) nicht gibt, die wir aber gemeinsam anstreben! Wie bei Beauty- und Gesundheitsprodukten üblich, wird auch bei unserem Gütesiegel das Fehlen bestimmter «schädlicher» Inhaltsstoffe und die ausschliessliche Verwendung bestimmter «gesunder» Inhaltsstoffe als Garantie für eine gute Qualität angesehen. Das heisst für unsere Gesellschaft: Nur mit 100% gegenseitigem Respekt und dem Ausschluss von sexueller Gewalt kann es ein gesundes Miteinander geben. Das ist das Ziel. Verdienen wir uns gemeinsam dieses Gütesiegel!
Dass sexuelle Gewalt als grosses Problem wahrgenommen wird, liegt vermutlich auch daran, dass das Thema Sex in unserer Gesellschaft allgegenwärtig ist: wir interessieren uns für die sexuelle Orientierung von Prominenten ebenso wie für diejenige unserer Nachbarn, auch für ihr Sexualleben, und es gibt grossangelegte Demonstrationen – und Gegendemonstrationen! – zur sexuellen Identität und Integrität bestimmter Personengruppen. In sämtlichen Medien werden uns täglich sexuelle Rollenbilder aufgedrückt, und in Film, Musik und Kunst werden sexuelle Standards gesetzt, ebenso wie in der Mode und vor allem natürlich in der Werbung. Die Sensibilität bez. Grenzüberschreitungen ist ebenso gestiegen.
Was ist sexuelle Gewalt?
Sex ist in unserer Gesellschaft allgegenwärtig – und trotzdem für jeden einzelnen Menschen ein hochsensibler Bereich seiner Individualität, der vor ungewollten Eingriffen durch andere Menschen jederzeit geschützt sein sollte! Gerade weil dieser Bereich so intim und sensibel ist, sind die meisten Menschen hier – psychisch und physisch – am verletzlichsten. Sexuelle An- und Übergriffe sind unzulässig, egal ob sie bewusst oder unbewusst geführt werden, also ob die angegriffene Person gezielt verletzt werden soll oder ob diese Verletzung von der angreifenden Person einfach in Kauf genommen wird bei der Durchsetzung ihrer eigenen sexuellen Ziele.
Sämtliche, entweder verbal geführten, unterschwellig körperlichen oder offen gewalttätigen, sexuellen Angriffe und Übergriffe fassen wir hier unter dem Begriff «sexuelle Gewalt» zusammen. Er schliesst auch den Begriff der «sexualisierten Gewalt». Damit ist eine Form von Gewalt gemeint, bei der von vornherein nicht die sexuelle Begierde des Täters im Vordergrund steht, sondern das übergeordnete Ziel, die Opfer zu demütigen, zu erniedrigen, auf diese Weise nachhaltig zu schwächen und gefügig zu machen. Hier wird Sex zu einem Instrument der Macht. Dieses Phänomen kennt man von Massenvergewaltigungen in Kriegen ebenso wie aus dem Kontext häuslicher Gewalt (Vergewaltigung in der Ehe) und aus dem Bereich des Arbeitsplatzes (sexuelle Belästigungen). Dabei kann diese Art der Machtausübung für die Täter wiederum als sexuell erregend wahrgenommen werden.
Was ist ein sexueller Übergriff?
Im allgemeinen Sprachgebrauch ist ein Übergriff immer eine illegitime Grenzüberschreitung: Jemand überschreitet seine eigenen Grenzen und verletzt die Grenzen eines anderen. Das gilt grundsätzlich auch für den Bereich der «sexuellen Gewalt», die mit scheinbar harmlosen Grenzüberschreitungen anfangen kann. Allerdings hat sich die Gesetzgebung in der Schweiz hier für eine spezielle sprachliche Differenzierung entschieden: Juristisch werden als «sexuelle Übergriffe» alle sexuellen Handlungen angesehen, die nicht einvernehmlich, sondern unter Zwang und Nötigung zustande kommen. Von der «Vergewaltigung» als schwerster Form der sexuellen Nötigung unterscheidet sie vor allem, dass dort noch die körperliche Komponente der Penetration hinzukommt. Der «Klaps auf den Po» hingegen sowie das exhibitionistische Handy-Foto («Dickpic») oder auch die rein verbal geführte Attacke laufen – obwohl man es vielleicht anders vermuten würde – nicht unter der Rubrik «Übergriff», sondern unter «sexueller Belästigung». Wie so oft sind die juristischen Unterscheidungen für Nicht-Juristen nicht ganz leicht zu verstehen. Die aktuelle Rechtslage finden Sie hier.
Wie schwer ein Delikt wiegt, kann allerdings immer auch daran abgelesen werden, ob eine Strafverfolgung «von Amtes wegen» erfolgt, also ab dem Moment, in dem die Behörden Kenntnis von einem «Offizialdelikt» haben, oder ob sie erst «auf Antrag» der geschädigten Person stattfindet, wie es bei «Antragsdelikten» der Fall ist.
Für unsere Kampagne «Gemeinsam ohne sexuelle Gewalt» ist es an dieser Stelle nur wichtig zu wissen, dass sie sich gegen jede Form von sexuellen Angriffen, Eingriffen und Übergriffen richtet, gegen jede Form von sexueller Belästigung, gegen sexuelle Verbalangriffe (z.B. Beleidigungen und Verhöhnungen) ebenso wie gegen aufgedrängte sexuelle Darstellungen in den Medien und im realen Leben (Exhibitionismus), gegen ungewollte und unangemessene Körperkontakte und natürlich gegen alle darüber hinaus gehenden erzwungenen sexuellen Handlungen bis hin zu Vergewaltigungen! Denn nur ohne jede Form von sexueller Gewalt ist ein gesundes Miteinander möglich!
Wo kann sexuelle Gewalt stattfinden?
Überall: zu Hause, in der Öffentlichkeit und am Arbeitsplatz.
Ein Mann, der zu Hause mit oder ohne sichtbarer Gewalt oder mit Gewaltandrohung seine Frau zu sexuellen Handlungen zwingt oder vergewaltigt, übt sexuelle Gewalt aus. Wenn er sie sexuell beschimpft und herabwürdigt, belästigt er sie ebenfalls sexuell.
Der Chef, der sich ganz dicht neben seine Angestellte setzt, um ihr bei einem Computerproblem zu helfen, sie dabei ganz beiläufig am Knie oder am Arm berührt und sie dann, wenn das Problem gelöst ist, wie anerkennend an der Schulter streichelt. Oder die Chefin, die ihre Angestellte zu sexuellen Handlungen nötigt, indem sie ihr bei Weigerung mit einschneidenden beruflichen Nachteilen oder sogar mit Entlassung droht.
Das Wort «Chikan» kommt aus dem Japanischen, bedeutet so viel wie «Sittenstrolch» und bezeichnet Männer, die gezielt das Gedränge in Pendlerzügen suchen, um Frauen – vermeintlich unabsichtlich – anfassen oder sich an ihnen reiben zu können. Dieses Phänomen ist nicht nur in Japan, Indien und Mexiko, sondern auch bei uns anzutreffen, wenngleich nicht ganz so häufig. Hier geht es um sexuelle Belästigung in der Öffentlichkeit. Auch im Ausgang, bei Parties, in Clubs und Bars, kommt es regelmässig zu sexueller Gewalt, mehr zu diesem Problem finden Sie hier. Voyeure in den Umkleidekabinen oder unerwünschte sexuelle Kommentare auf der Strasse («Catcalling») sind ebenfalls ein Problem.
Zwar gibt es immer auch umgekehrte Fälle, also dass eine Frau einen Mann sexuell belästigt oder nötigt, aber es muss festgehalten werden, dass nach wie vor der grösste Teil der Täter männlich und der grösste Teil der Opfer weiblich ist.
Wie sehr die sexuelle Gewalt bereits in die Alltagssprache Einzug gehalten hat, kann zum Beispiel daran abgelesen werden, dass sexualisierte Redewendungen und Schimpfwörter auch unter Freunden und Freundinnen ziemlich «normal» geworden sind.
Wie häufig kommt sexuelle Gewalt vor?
Die Häufigkeit sexualisierter Gewalt lässt sich nur schwer messen, da sehr unterschiedliche Straftaten darunterfallen. Die Statistiken zeigen jedoch klare Tendenzen: Vor allem Frauen und junge Menschen sind betroffen und nur selten werden die Übergriffe den Behörden gemeldet. Sexuelle Belästigungen treten überwiegend im öffentlichen Raum auf, während sexuelle Übergriffe, sexuelle Nötigungen und Vergewaltigungen meist im privaten Umfeld geschehen.
Opferbefragungen wie die Crime Survey 2022 zeigen, dass sexuelle Belästigung meist in verbaler Form auftritt und häufig an Freizeitorten geschieht. In der Mehrheit der Fälle war die Tatperson dem Opfer nicht bekannt. Die überwiegende Zahl der Belästigungen wird gemäss Studien nicht angezeigt. Bei der sexuellen Gewalt ereignen sich die Taten meist in der Wohnung der betroffenen Person oder der Tatperson, die in der Regel bereits bekannt ist. Auch hier bleibt die Anzeigerate sehr niedrig.
Die Studie des EBG, die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz untersuchte, zeigt, dass mehr als die Hälfte der Beschäftigten im bisherigen Erwerbsleben mindestens eine der abgefragten sexistischen oder sexuellen Verhaltensweisen erlebt hat.
Schliesslich weisen die polizeiliche Kriminalstatistik und weitere Erhebungen zum Thema sexualisierte Gewalt im Jahr 2024 auf mehrere tausend registrierte sexualisierte Gewaltstraftaten hin. Sie verdeutlichen die Mehrheit von Männern unter den Tatpersonen und von Frauen unter den Opfern sowie Unterschiede nach Deliktsform: sexuelle Übergriffe und sexuelle Nötigungen, sowie Vergewaltigungen finden überwiegend im privaten Bereich statt, während sexuelle Belästigungen vor allem in der Öffentlichkeit vorkommen.
Die Daten der Opferhilfe bildet die Anzahl Beratungen ab: Die Mehrheit der Betroffenen sind Frauen und bei 30 % der Fälle ging es um strafbare Handlungen gegen die sexuelle Integrität.
Was kann ich gegen sexuelle Gewalt tun?
Sind Sie von sexueller Gewalt betroffen?
Für eine kostenlose, vertrauliche und anonyme Beratung kontaktieren Sie die Opferhilfe. Sie informiert Sie auch über die Möglichkeiten der Strafverfolgung, ohne sofort die Polizei einzuschalten, und begleitet Sie im weiteren Vorgehen.
In jedem Fall ist es empfehlenswert, sich nach einem sexuellen Übergriff und nach einer Vergewaltigung so schnell wie möglich in die Notaufnahme eines Spitals zu begeben, einerseits zur allfälligen Versorgung von Verletzungen, zur Notfallverhütung einer Schwangerschaft und zur Abklärung etwaiger Infektionen (wie z.B. HIV), andererseits zur rechtsmedizinischen Beweissicherung. Wichtig: Mit dieser geht keine Meldung an die Polizei einher. Alle medizinischen Befunde werden vertraulich behandelt. Das Opfer kann weiterhin selbst entscheiden, ob es – auch zu einem späteren Zeitpunkt – eine Anzeige machen will. Für die Ermittlung und spätere Beweisführung ist die Beweissicherung allerdings zentral.
Bei allen Fällen von sexueller Gewalt und sexueller Belästigung, von der verbalen Beleidigung über unerwünschte Konfrontationen mit sexuellen Inhalten in den Medien, Exhibitionismus-Vorfälle bis hin zu ungewünschten Körperkontakten, haben Sie die Möglichkeit, sich bei der Polizei für eine allfällige Anzeige zu melden.
Haben Sie selbst sexuelle Gewalt angewendet, oder sind Sie bereit, dies zu tun?
Übernehmen Sie Verantwortung für Ihr Handeln. Wenn Sie sich bewusst sind, dass Sie – auf Täterseite – ein Problem mit sexueller Gewalt haben, kontaktieren Sie bitte eine Gewaltberatungsstelle, die Ihnen im Rahmen ihrer Kompetenzen helfen und beraten kann.
Haben Sie eine sexuelle Belästigung oder einen sexuellen Übergriff beobachtet?
Wenn Sie Zeuge oder Zeugin sexueller Gewalt werden, greifen Sie deeskalierend ein, wenn Sie sich dadurch nicht selbst gefährden. Vor allem bei verbaler sexueller Gewalt oder spontanen unangemessenen Körperkontakten, etwa in einer Bar und unter Personen, die sich nicht völlig unbekannt sind, sollten Sie auf ihre Umgebung entsprechend einwirken, um Schlimmeres zu verhindern.
Wenn es jedoch zu erzwungenen sexuellen Handlungen oder zu einer Vergewaltigung gekommen ist, stehen Sie der betroffenen Person bei und rufen Sie ggf. medizinische (144) oder polizeiliche (117) Hilfe!
Wo finde ich Hilfe und Unterstützung?
In welche Notaufnahme eines Spitals soll ich gehen?
Manche Spitäler verfügen über speziell geschultes Personal, wie Forensic Nurses, um Betroffene von sexueller Gewalt fachgerecht zu betreuen und Beweise zu sichern.
Deutschschweiz
Appenzell Ausserrhoden
Appenzell Innerrhoden
Aargau
- Frauenklinik KSA (Notfälle für Frauen)
- Notfallpraxis (Notfälle für Männer)
Basel-Landschaft und Basel-Stadt
Glarus
Zürich
Romandie
Tessin
Weitere Informationen zur Versorgung in der Notaufnahme eines Spitals in der Romandie:
www.agression-sexuelle-urgences.ch
Wo finde ich eine Beratungsstelle der Opferhilfe?
Die Opferhilfe Schweiz bietet Adressen pro Kanton bezüglich Hilfe für gewaltbetroffene Personen an.
Wo finde ich eine Gewaltberatungsstelle?
Der Schweizerische Dachverband für Gewaltprävention solvio bietet Adressen pro Kanton bezüglich Hilfe für gewaltausübende Personen an.
Wo finde ich weitere Informationen?
Die Schweizerische Konferenz gegen Häusliche Gewalt SKHG setzt sich für eine wirkungsvolle Bekämpfung häuslicher Gewalt ein. Mitglieder sind die kantonalen Interventions- und Koordinationsstellen gegen häusliche Gewalt, welche zum Thema und Unterstützung in ihrem Kanton informieren.
Auf belästigt.ch werden professionelle und vertrauliche Online-Erstberatung zum Thema sexuelle und sexistische Belästigung am Arbeitsplatz angeboten, falls Sie in der Deutschschweiz erwerbstätig sind. Sie listet auch weitere Anlaufstellen bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz pro Kanton auf.
IM NOTFALL UND IM ZWEIFELSFALL – rufen Sie die Polizei: 117