Im Verlauf des Erwachsenwerdens machen einige Jugendliche Erfahrungen mit gewaltsamen Ereignissen, sei dies auch nur als Zeuge oder Zeugin, als Opfer oder gar als Täter oder Täterin. Wenn Jugendliche gewalttätig werden, ist dies häufig ein Zeichen dafür, dass sie ihre Grenzen ausloten möchten und ihren Platz in der Gesellschaft suchen. In den seltensten Fällen sind diese Grenzüberschreitungen Zeichen einer kriminellen Karriere. Nichtsdestotrotz ist es wichtig, Hinweise auf eine mögliche Chronifizierung asozialen Verhaltens früh zu erkennen und adäquate Massnahmen einzuleiten, um dies zu vermeiden.

Definition

Gewalt von jungen Menschen kann ganz unterschiedliche Formen umfassen: Psychische und verbale Gewalt (z.B. Mobbing), körperliche und sexuelle Gewalt (z.B. Schlägereien, sexuelle Belästigung) bis hin zu Überfällen oder gar Mord oder Totschlag. Gewaltakte können sich gegen Menschen, Tiere oder Gegenstände (z.B. Vandalismus) richten. Wenn von Jugendgewalt im Allgemeinen die Sprache ist, wird meist kein Unterschied gemacht zwischen Gewalttaten, die von jungen Erwachsenen (18 bis 25 Jahre) oder von Minderjährigen (bis 17 Jahre) begangen werden. Die Justiz antwortet aber anders auf Straftaten von Minderjährigen, da das Jugendstrafrecht auf Resozialisierung ausgerichtet ist und nicht in erster Linie auf Bestrafung.

Risiko- und Schutzfaktoren

Gewalthandlungen lassen sich kaum je auf eine einzige Ursache zurückführen. Sie sind das Ergebnis eines komplexen Zusammenspiels vieler Einflussfaktoren auf verschiedenen Ebenen. Einflussfaktoren können Gewalt fördernd oder Gewalt hemmend sein und werden entsprechend also Risiko- und Schutzfaktoren bezeichnet. Die Bedeutung der verschiedenen Risiko- und Schutzfaktoren verändert sich von der frühen Kindheit bis zum Ende der Pubertät. Mit dem Erwachsenwerden beginnt das individuelle, persönliche Umfeld zu wachsen, die Interaktionen mit verschiedensten Personen nehmen zu und zur Familie kommen die Schule, Beziehungen mit Gleichaltrigen, die Nachbarschaft und weiter gefasste Gesellschaftskreise hinzu. Die Gewaltforschung unterscheidet deshalb in Erklärungsmodellen verschiedene Einflussfaktoren in unterschiedlichen Settings.

Risikofaktoren

Besonders starke Risikofaktoren sind zum Beispiel:

  • problematische Erziehungspraktiken der Eltern (z.B. geringes elterliches Engagement, mangelnde elterliche Aufsicht, Missbrauch oder Gewalt in der Familie, Überbehütung);
  • die Abwesenheit der Väter oder deren Unvermögen, eine väterliche Rolle zu füllen;
  • Gewalt befürwortende Normen und die Zugehörigkeit zu einem delinquenten oder Gewalt befürwortenden Freundeskreis;
  • unstrukturierte Freizeitaktivitäten;
  • frühes, häufiges Schulschwänzen.

Die verschiedenen Risikofaktoren können kumuliert auftreten und sich gegenseitig verstärken. Die Wahrscheinlichkeit, dass Jugendlichen zu Gewaltstraftätern werden ist klein, solange sie nur einer kleinen Anzahl Faktoren ausgesetzt sind. Erst beim Zusammentreffen von vielen Risikofaktoren über eine gewisse Zeit nimmt die Gewaltbereitschaft deutlich zu.

Schutzfaktoren

Ein Gegengewicht zu den Risikofaktoren bilden Schutzfaktoren, wie z.B.:

  • konstante und verlässliche Beziehungen zu Bezugspersonen;
  • positive Erlebnisse;
  • fördernde Umgebungen;
  • sowie positive individuelle Merkmale (z.B. gesundes Selbstvertrauen, Intelligenz).

Rechtslage

Für Jugendliche zwischen 10 und 18 Jahren gilt in der Schweiz das Jugendstrafrecht. Das Jugendstrafrecht setzt sich aus dem Jugendstrafgesetz (JStG) und der Jugendstrafprozessordnung (JStPO) zusammen. Bereits ab 10 Jahren sind Kinder also strafmündig und können aus strafrechtlicher Sicht in die Verantwortung gezogen werden. Strafmündigkeit bezeichnet grundsätzlich das Alter, ab welchem eine Person für eine Straftat bestraft werden kann. Grenzüberschreitungen von unter 10-Jährigen werden von der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) veranlasst, insofern die Eltern nicht in der Lage sind, entsprechende Massnahmen vorzunehmen.

Im schweizerischen Jugendstrafrecht geht es in erster Linie um den Schutz und die Nacherziehung der Jugendlichen sowie die Verhinderung von weiteren Straftaten während der Jugend oder im späteren Erwachsenenalter. Für eine erfolgreiche Resozialisierung sind zeitnahe und angemessene Strafen und Massnahmen zentral. Aus diesem Grund werden in einem Strafverfahren auch immer vertiefte Abklärungen zu den persönlichen, familiären, schulischen, beruflichen und freizeitlichen Verhältnissen eines Jugendlichen durchgeführt. Unabhängig davon, ob eine erzieherische oder therapeutische Massnahme (z.B. ambulante Massnahme oder Heimunterbringung) oder eine Bestrafung (z.B. Freiheitsentzug, Busse, Verweis) angeordnet wird, soll diese auf den Täter oder die Täterin massgeschneidert sein, erzieherisch und präventiv wirken, damit weitere Straftaten möglicherweise verhindert werden können.

Bezüglich der Strafbarkeit von Delikten gibt es keinen Unterschied im Jugend- und Erwachsenenstrafrecht. Das heisst, was für Erwachsene verboten ist, ist auch für Jugendliche verboten.

Was tut die Polizei?

Auf aggressives, Mitmenschen oder Sachen schädigendes Verhalten von Jugendlichen muss reagiert werden. Dies, um die gesellschaftlich definierten Grenzen zu verdeutlichen, weiteres dissoziales Verhalten zu vermeiden und Wiedergutmachung zu leisten. Dazu zählen die Massnahmen von Eltern, Schulen und je nach Sachlage auch von Strafbehörden (Polizei, Justiz). Repressive Massnahmen von den Strafverfolgungsbehörden richten sich grundsätzlich immer gegen die tatausführende, strafmündige Person, unabhängig ihres Alters. Andere Formen von Repression können jedoch auch gegen ganze Gruppen ausgesprochen werden, etwa nächtliche Ausgangssperren, die in den letzten Jahren von einzelnen Gemeinden für Minderjährige erlassen wurden.

Verschiedene Polizeikorps in der Schweiz haben ausserdem Jugenddienste gegründet, die sich mit der Aufklärung jugendspezifischer Straftaten sowie der Intervention und Prävention im Zusammenhang mit Jugendlichen befassen. Eine Übersicht über sämtliche polizeilichen Jugenddienste finden Sie hier.

Was kann gegen Jugendgewalt unternommen werden?

Allgemeine Prävention

  • Sozialpolitische Massnahmen können auch gewaltpräventiv wirken, wenn zum Beispiel die sozialen Kompetenzen von Jugendlichen dadurch gestärkt werden. Dies kann in der direkten Arbeit mit Jugendlichen oder indirekt über bestimmte Settings (z.B. Jugendgruppe, Familie, Schule) erfolgen. Gleichzeitig können Massnahmen zur Verbesserung von strukturellen Rahmenbedingungen – Wohnumfeld und Quartier, Förderung des Berufseinstiegs und der Integration – einen wichtigen Beitrag zur Gewaltprävention leisten. So gesehen wirkt gezielte und effektive Integrations- oder Bildungspolitik immer auch kriminalpräventiv.
  • Früherkennung und Frühintervention sind zentral bei der Gewaltprävention von Jugendlichen. Konzepte zur Früherkennung und Frühintervention wurden anfänglich für die Suchtprävention entwickelt. Sie finden mittlerweile auch in anderen Präventionsbereichen – insbesondere der Gewaltprävention – Anwendung. Ein wichtiger Grundsatz ist dabei, dass Interventionen nicht nur auf die Reduktion der Risiken sondern auch auf die Stärkung des Individuums und der vorhandenen Ressourcen zielen sollten.

Prävention in der Familie

  • Während der gesamten Entwicklung des Kindes übernimmt die Familie eine zentrale Rolle auch für die Gewaltprävention. Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen sind familiäre Risikofaktoren für die Entstehung von Verhaltensproblemen in Kindheit und Jugend mitverantwortlich. Zum anderen ist die elterliche Fürsorge für eine gelungene emotionale und soziale Entwicklung des Kindes unabdingbar.
  • Eine familienbasierte Prävention möchte den Eltern helfen, ihr Kind über alle Lebensphasen hinweg in seiner sprachlichen, sozialen, körperlichen, kognitiven, emotionalen, moralischen und musischen Entwicklung zu unterstützen. Andererseits sollen dysfunktionale sowie Aggression und Konflikt verstärkende Erziehungspraktiken damit vermieden werden. Massnahmen der familienbasierten Prävention werden in der Schweiz sowohl von öffentlichen wie auch von privaten Akteuren realisiert.
  • Schliesslich kommen bei festgestellten Problemen auch behördlich verordnete Massnahmen zum Einsatz, wie z.B. obligatorische Elternkurse, verordnete Familienbegleitungen (sozialpädagogische Familienbegleitung, kompetenzorientierte Familienarbeit etc.) oder auch Fremdplatzierungen in Pflegefamilien. Solche Massnahmen werden in aller Regel von den Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden (KESB) ausgesprochen.
  • Gewaltprävention in der Familie richtet sich aber nicht nur an Eltern, Grosseltern oder andere Betreuungspersonen, sondern ebenso an Kinder und Jugendliche selbst. In diesem Zusammenhang sind beispielsweise Massnahmen gegen Gewalt in jugendlichen Liebesbeziehungen oder auch Gewalt von Jugendlichen gegenüber Eltern, Geschwistern und Grosseltern zu erwähnen.

Prävention in der Schule

Kinder verbringen viel Zeit in der Schule. Ihre Lebensqualität und ihr Verhalten werden somit stark von den Beziehungen zu den Mitschülerinnen und Mitschülern sowie zu den Lehrpersonen beeinflusst. Die Schule spielt also eine wichtige Rolle für die soziale Entwicklung der Schülerinnen und Schüler. Sie ist aber auch ein Ort, an dem es zu verschiedenen Formen von Gewalt kommt. Deshalb ist es die Pflicht von Schulen, sich mit der Gewaltprävention zu befassen. Um präventiv gegen Gewalt an Schulen vorzugehen, sollten die folgenden Punkte beachtet werden:

  • Die Förderung eines positiven Umfelds für alle Akteure der Schule ist die Grundlage für die erfolgreiche Umsetzung von Präventionsmassnahmen. Es bestehen vielseitige Möglichkeiten, damit die Schule ein harmonisches Zusammenleben gestalten kann: Verbesserung des Schulklimas, klare Regeln und Sanktionen, Erarbeitung einer Charta oder partizipative Strukturen.
  • Die frühe und gezielte Einwirkung gegen problematisches Verhalten wie Schulmobbing oder Schwänzen sollte ebenfalls zu den Massnahmen einer umfassenden Präventionsstrategie an Schulen gehören.
  • Die Schulung der Lehrkräfte ist ein bedeutendes Element der Gewaltprävention. Dazu gehören auch aktuelle Kenntnisse über neue Formen von Gewalt wie Cybermobbing sowie die Sensibilisierung für Prozesse der Frühintervention.
  • Die Zusammenarbeit mit den Eltern ist wesentlich. Als Hauptverantwortliche für die Erziehung ihrer Kinder sollen und müssen die Eltern in jedes Präventions- oder Interventionsvorhaben einbezogen werden.
  • Mit einem Interventionskonzept für Krisensituationen kann beim Auftreten von schwerwiegenden Ereignissen effizient und zielführend mit den richtigen Partnern und Ressourcen reagiert werden. Ein von der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) erstellter Leitfaden steht als Konzeptgrundlage zur Verfügung.
  • Zudem finden Sie hier einen Überblick über die vorhandenen, öffentlich zugänglichen Materialiensammlungen der Kantone.

Prävention im öffentlichen Raum

  • Während für Kleinkinder vor allem die Familie und für jüngere Kinder später die Schule zentrale Lern- und Lebensorte sind, erweitert sich der Aktionsradius im Jugendalter schrittweise auf die Nachbarschaft und den öffentlichen Raum. Damit verbunden ändern sich sowohl Schutz- wie Risikofaktoren für jugendliches Gewaltverhalten. Der Alkohol- und Drogenkonsum, unstrukturierte Freizeitaktivitäten, häufiger abendlicher Ausgang, geringe soziale Kontrolle, ein delinquenter Freundeskreis sowie problembehaftete Quartiere können wichtige Einflussfaktoren für ein Gewaltverhalten sein.
  • Von grosser Bedeutung für die Gewaltprävention sind die Gestaltung und Verfügbarkeit von öffentlichen Räumen, von Freizeitangeboten sowie der Zugang von Jugendlichen in Problemsituationen zu Fachleuten. Erfolgreiche Strategien zur Vorbeugung von Jugendgewalt kombinieren präventive Massnahmen mit angemessenen Interventions- und Ordnungsmassnahmen. In der Schweiz besteht bereits eine Vielzahl von erfolgreichen Massnahmen wie z.B. Förderung der Quartierentwicklung, organisierte und leicht zugängliche Freizeitaktivitäten, Gewaltprävention in Vereinen oder bei Sportveranstaltungen oder Konfliktprävention und -intervention im öffentlichen Raum durch mobile Jugendarbeit oder die Jugendpolizei.

Beratungsstellen

  • Pro Juventute setzt sich für die Rechte von Kinder und Jugendlichen ein, fördert sie im Alltag und unterstützt sie in schwierigen Situationen.
  • Die E-Beratung und Jugendinformation Tschau.ch ist eine professionell geführte Beratungsplattform für junge Menschen in der Schweiz.
  • Sucht Schweiz konzipiert und realisiert Präventionsprojekte im Zusammenhang mit Suchtproblematiken, die auch bei Jugendlichen ein Thema sein können.
  • lilli bietet anonyme Onlineberatung und Informationen rund um Sexualität, Gewalt, Beziehungen, Frauen- und Männerthemen an.
  • Elternbildung.ch gibt Ratschläge im Zusammenhang mit Erziehungsfragen und dem Heranwachsen von Kindern.

Jugend und Gewalt

Informationen und Tipps für Eltern und Erziehungsberechtigte

Die Broschüre «Jugend und Gewalt» informiert darüber, was unter Jugendgewalt zu verstehen ist, wie sie entsteht und wie ihr das Gesetz begegnet. Sie gibt Eltern von gewalttätigen Kindern oder Jugendlichen Ratschläge und Empfehlungen und erklärt auch, wie sich Eltern verhalten sollen, wenn das eigene Kind Opfer oder Zeuge von Gewalt von Jugendlichen wird. Weiter zeigt sie zudem auf, wie die Konfliktfähigkeit von Kindern und Jugendlichen verbessert werden kann und erklärt das polizeiliche Vorgehen gegen Jugendgewalt.

Diese Seite verwendet Cookies. Erfahren Sie in unserer Datenschutzerklärung mehr darüber, wie wir Cookies einsetzen und wie Sie Ihre Einstellungen ändern können: Datenschutzerklärung