| Nicole Kumli Ryter

Für Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS) bietet der öffentliche Raum viele Reize und Stressfaktoren. So kann beispielsweise eine Kontrolle im Zug oder am Flughafen unerwartete Reaktionen auslösen. Damit eine solche Situation für alle Beteiligten so stressfrei wie möglich ablaufen kann, bietet eine neue Informationskarte für Autistinnen und Autisten eine Hilfestellung für Behörden und Betroffene. Der Verein «autismus deutsche schweiz» (ads) hat die Karte gemeinsam mit der Kantonspolizei Zürich und mit der Unterstützung der SKP entworfen.

Interview mit Regula Buehler, autismus deutsche schweiz

Im Gespräch mit Frau Regula Buehler, Geschäftsleiterin des Vereins ads, wollten wir in Erfahrung bringen, was Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung bewegt, und wie man sie in unserer Gesellschaft unterstützen kann.

Welche Symptome, respektive welches Verhalten muss vorhanden sein, damit eine Autismus-Spektrum-Störung diagnostiziert wird? Spricht man von einer Krankheit oder von einer Störung?

Autismus betrifft mindestens eine von 100 Personen in der Schweiz. Es ist weder eine Verhaltensstörung noch eine psychische Störung. Bei Personen im Autismus Spektrum ist die Art und Weise, wie sich ihre Nervenzellen im Gehirn organisieren und verbinden, anders. Das verändert ihre Wahrnehmung und ihr Verhalten. Der Autismus macht sie «anders» und sie brauchen in ihrem Leben und ihrer Umwelt Unterstützung und Verständnis.

In welcher Weise unterscheidet sich die Wahrnehmung einer Autistin / eines Autisten?

Die andere Wahrnehmung der Betroffenen kann nicht an offensichtlichen Merkmalen erkannt werden – es ist oft ein unsichtbares «Anderssein». Einige Betroffene meistern ihre Herausforderungen mit ihren eigenen Strategien, ohne grosse Aufmerksamkeit zu erregen. Andere haben viel grösseren Unterstützungsbedarf.

Autistische Menschen haben oft grosse Probleme mit der Kommunikation und mit der sozialen Interaktion. Sie zeigen repetitives Verhalten und kleine Änderungen im gewohnten Tagesablauf können grossen Stress auslösen. Sensorische Überlastung, zum Beispiel durch Lärm oder Berührungen, werden bis zu schmerzhaft erlebt und können zu «Meltdowns» [1] führen.

Autistische Menschen haben oft grosse Probleme mit der Kommunikation und mit der sozialen Interaktion. Sie zeigen repetitives Verhalten und kleine Änderungen im gewohnten Tagesablauf, wie beispielsweise eine Polizeikontrolle, können grossen Stress auslösen.

Welche Situationen im öffentlichen Raum können von einer Person mit ASS als bedrohlich wahrgenommen werden?

In einer Umfrage bei den Betroffenen wurden unter anderem folgende Stressfaktoren genannt:

  • Angst im Allgemeinen und Angst, was auf einen zukommt / was die Polizei von einem will
  • Zu wenig Wissen und Verständnis seitens der Polizei
  • Nervosität und Angst vor Missverständnissen
  • Schwierigkeiten sich auszudrücken wegen Nervosität
  • Sensorischer Stress zum Beispiel durch die Lautstärke von Sirenen oder Blaulicht

Welche Verhaltensregeln muss man in Kontakt mit einer Person mit ASS beachten? Darf man im öffentlichen Raum jemandem mit entsprechenden Symptomen seine Hilfe anbieten?

Hilfe darf gerne angeboten werden – so zum Beispiel ein Handy oder «Zettel und Stift» zur nonverbalen Kommunikation. Wichtig ist auch, die betroffene Person im Stress soweit möglich von Reizen abzuschirmen oder sie an einen ruhigen Ort zu begleiten. Unterstützend kann auch wirken, der Person Orientierung anzubieten (wir sind aktuell im HB Zürich, wo müssen Sie hin, kann ich Sie begleiten).

Man muss sich bewusst sein, dass sich der Autismus bei jeder betroffenen Person in Details anders auswirkt – deshalb ist es schwierig, genaue und allgemein gültige Verhaltensregeln aufzustellen.

Wie gelingt die Integration von autistischen Kindern im Schulalltag?

Kinder und Jugendliche mit Autismus brauchen auf sie abgestimmte, individuelle Anpassungen und Unterstützung. Diese Hilfestellungen ermöglichen es ihnen, den Schulalltag bewältigen zu können.

Gelingendes Lernen in der Regelschule kann unter anderem unterstützt werden durch die Sensibilisierung aller Involvierten, ausreichende Informationen zum Thema Autismus, Unterstützung bei der Strukturierung der Arbeiten, direkte und klare Kommunikation, Visualisierungshilfen, ein individueller Nachteilsausgleich, ein Arbeitsplatz mit möglichst wenigen Stressfaktoren und/oder ein Rückzugsraum.

Es muss genau abgeklärt werden, welche Unterstützungsmassnahmen nötig sind.

Die Autismuskarte kann beim Verein autismus deutsche schweiz bezogen werden:

www.autismus.ch.

Spezifische Information zum gemeinsamen Projekt mit der Polizei finden Sie hier https://www.autismus.ch/informationsplattform/polizei.html.

[1] Ein Meltdown ist ein Affekt, der im Rahmen von Autismus-Spektrum-Störungen auftreten kann. Er ist eine Reaktion auf eine vorangegangene Reizüberflutung (Overload), der die Betroffenen nicht ausweichen können.

Kategorien: Allgemein

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