Sexuelle Gewalt an Erwachsenen Schwerpunkt

Prävention zwischen Pragmatismus und Ideologie

Unseres Wissens wurden letzthin mindestens zwei Polizeikorps wegen ihren Verhaltenstipps für Frauen im öffentlichen Raum kritisiert. Auch die Schweizerische Kriminalprävention wurde deswegen schon angegriffen. Was wird denn nun genau vorgeworfen? In allen Fällen ging es darum, dass Behörden Frauen raten, sich so oder so zu verhalten, damit sich das Risiko, Opfer von gewalttätigen und sexuellen Angriffen zu werden, vermindern soll. Wir alle haben also Risikoverhalten angesprochen und aufgezeigt, wie dieses Risiko möglichst klein gehalten werden kann. Die Ratschläge reichen von «sich nicht nachts betrunken alleine auf den Heimweg zu begeben» bis zu «gut beleuchtete Wege zu nutzen».

Kritisiert wurden aber nicht die einzelnen Tipps per se, sondern dass Frauen überhaupt Ratschläge gegeben werden. Die Argumente: Nicht potentielle Opfer müssen ihr Verhalten ändern, sondern potentielle Täter. Der öffentliche Raum gehöre allen und alle sollen sich frei und sicher darin bewegen können. Dem kann wohl kaum widersprochen werden, aber ist es auch ein Argument gegen Verhaltenstipps?

Präventionsarbeit – zumindest so, wie wir sie verstehen – sollte immer dreifach wirken, wo immer es Sinn macht: Bei den potentiellen Opfern, bei den potentiellen Tätern und Täterinnen und bei deren sozialem Umfeld. Und dies selbstverständlich unabhängig vom Geschlecht von Opfern und Tatpersonen und unabhängig von der Art der Massnahme.

Verhaltenspräventions-Tipps richten sich in aller Regel an potentielle Opfer.

Verhaltenspräventions-Tipps richten sich in aller Regel an potentielle Opfer. Es versteht sich von selbst, dass es kaum je Sinn macht, potentielle Tatpersonen mit Ratschlägen von kriminellen Taten abhalten zu wollen. Im Besondern gilt dies bei Gewalt- und Sexualtäter*innen, die im Affekt resp. unter Drogeneinfluss handeln. Und genau dieses «Klientel» trifft man häufig an, wenn Frauen im öffentlichen Raum belästigt werden.

Prävention, die sich an Gewalt- und Sexualstraftäter*innen richtet, muss fundamentaler ansetzen. Hierbei sind Haltungsänderungen im Fokus und diese werden mit Schulungen und Sensibilisierungsarbeit breit und frühzeitig am besten erreicht. Dies ist aber nicht in erster Linie Aufgabe der Polizei, sondern vieler staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen. Nicht zu vergessen ist zudem der generalpräventive, also abschreckende Charakter der Repression. Sexuelle Belästigung ist eine Straftat und das wissen meist auch die Täter*innen. Wenn sich die Chance erhöht, dass Täter*innen für ihr Handeln zur Rechenschaft gezogen werden, kann dies durchaus abschreckend wirken: für Andere oder für eine Wiederholungstat. Dafür muss die Polizei aber Kenntnis von den Geschehnissen haben und dies so rasch als möglich.

Präventionsarbeit sollte immer dreifach wirken: Bei den potentiellen Opfern, bei den potentiellen Tätern und Täterinnen und bei deren sozialem Umfeld.

In diesem Sinn dennoch ein weiterer, präventiver Ratschlag an belästigte Personen: Erstatten Sie umgehend Anzeige auf dem nächstliegenden Polizeiposten oder rufen Sie immer sofort die Polizei über Tel. 117!

Bis also in einer idealen Welt echte Gleichberechtigung und das Recht auf ein angstfreies, unversehrtes Leben auch im öffentlichen Raum erreicht ist, setzen wir weiterhin auf einen pragmatischen Ansatz: Das eine tun und das andere nicht lassen. Denn eines ist sicher; ob Polizei, Kriminalprävention oder Frauenrechtsorganisation, alle wollen im Endeffekt dasselbe; möglichst keine Opfer von sexueller Gewalt oder sonstigen Verbrechen und Vergehen. Sehen wir unsere Bemühungen als komplementär und verschwenden wir keine Energie mit Grabenkämpfen.

Sexuelle Gewalt: Wenn Mythen und Märchen noch mehr Schaden anrichten

Wie auch bei den Grimm-Märchen haben diese Mythen die Funktion, Unverständliches und Bedrohliches zu rechtfertigen, einzuordnen und so verständlicher und erträglicher zu machen. Im Gegensatz zu den Kindermärchen können Vergewaltigungsmythen jedoch bei den Opfern von sexueller Gewalt enormen Schaden anrichten. Besonders tragisch ist zudem, dass sie nicht nur unter Opfern selbst, sondern auch unter den Menschen verbreitet sind, die Sexualdelikte ahnden, beurteilen und mit Opfern arbeiten.

Vier Vergewaltigungsmythen im Test

Testen Sie sich selbst! Stimmen Sie den folgenden vier Aussagen zu oder nicht?

  1. Die meisten sexuellen Übergriffe passieren oft überfallartig, und zwar draussen in dunklen und einsamen Gegenden.
  2. Eine Frau kann sich wehren, Vergewaltigungen «funktionieren» nur, wenn die Frau auch will.
  3. Bei einer Vergewaltigung kennen sich Täter und Opfer meistens nicht.
  4. Nur Frauen können vergewaltigt werden.

Bei allen vier Aussagen handelt es sich um Mythen. Vielleicht erstaunt es Sie, dass es nach wie vor Menschen gibt, die von der Richtigkeit dieser Aussagen überzeugt sind, obwohl sie längst und x-fach widerlegt sind. Vielleicht aber müssen Sie feststellen, dass Sie bei der einen oder anderen Aussage innerlich zugestimmt haben und deshalb scheinbar nicht so viel über sexuelle Gewalt wissen, wie Sie zu wissen geglaubt haben.

Bei sexuellen Übergriffen kennen sich das Opfer und der Täter in den allermeisten Fällen. Die Opfer von Vergewaltigungen sind in vielen Fällen so überrascht und geschockt, dass sie sich nicht wehren können. Ausserdem kommt es vor, dass sie so verängstigt sind und um ihr Leben fürchten oder die Schmerzen nicht noch vergrössern wollen, dass sie sich entscheiden, sich nicht zu wehren. Selbstredend gilt dies für männliche wie für weibliche Opfer von Vergewaltigungen. Der Mythos 2 basiert folglich auf einer falschen und einer heiklen Annahme. Es ist falsch anzunehmen, dass sich jede und jeder gegen eine Vergewaltigung wehren kann, und es ist heikel anzunehmen, dass fehlender physischer oder verbaler Widerstand automatisch eine Zustimmung bedeutet. Man denke dabei zum Beispiel an Opfer, die unter Medikamenten-, Drogen- oder Alkoholeinfluss stehen.

Auch Fachpersonen glauben Vergewaltigungsmythen

Es ist leider eine Tatsache, dass auch Fachleute aus Polizei, Justiz und sogar aus der Opferberatung solchen Mythen aufsitzen und zwar unabhängig davon, ob sie eine Fachfrau oder ein Fachmann sind. Dass solch‘ irrige Annahmen fatale Folgen für Betroffene haben können, liegt auf der Hand: Das Opfer glaubt, selbst schuld zu sein und hat das Gefühl, dass man ihm nicht glaubt. Als Folge davon, werden im schlimmsten Fall die Täter nicht zur Rechenschaft gezogen, das Opfer erhält keine adäquate Hilfe und weitere Mythen werden befeuert: Zum Beispiel «Sexuelle Übergriffe sind sehr selten» und «gewisse Frauen tragen eine Mitschuld an ihrer Vergewaltigung». Deshalb ist es umso wichtiger, bei den relevanten Berufsgruppen, aber auch in der breiten Bevölkerung diese Mythen zu entlarven und das Wissen zum Thema Vergewaltigung und sexuelle Übergriffe zu vergrössern.

 

Was passiert, wenn ich eine Sexualstraftat bei der Polizei anzeige?

Die Polizei ermittelt bei sexuellen Handlungen bei Kenntnis der Sachlage von Amtes wegen (mit Ausnahme der sexuellen Belästigung, die ein Antragsdelikt ist). Wenn die Polizei über eine vermutete Sexualstraftat in Kenntnis gesetzt wird, werden folgende Prozesse in Gang gesetzt: Die Polizei trägt unter Leitung der zuständigen Staatsanwaltschaft die Beweise zusammen (z.B. Befragung von Auskunftspersonen und Zeugen, rechtsmedizinische Untersuchungen etc.). Eine allfällig tatverdächtige Person kann infolgedessen in Untersuchungshaft genommen werden, besonders dann, wenn Fluchtgefahr oder Wiederholungsgefahr besteht. Je mehr Beweismaterial die Polizei findet, desto leichter wird das Strafverfahren für das Opfer.

Die Aussagen des Opfers eines Sexualdeliktes sind für eine allfällige Verurteilung der beschuldigten Person von zentraler Bedeutung, vor allem, wenn keine oder kaum Sachbeweise vorliegen. Ab dem 15. Altersjahr wird ein Opfer in der Regel als Zeuge oder Zeugin von einer Polizistin resp. von einem Polizisten desselben Geschlechts wie das Opfer einvernommen. Opfer können sich bei der Einvernahme von einer Vertrauensperson begleiten lassen (z.B. von einer Opferberaterin). Wenn das Opfer zum Zeitpunkt der Eröffnung der Strafuntersuchung unter 18 Jahre alt ist, wird es maximal zwei Mal einvernommen. Eine zweite Einvernahme erfolgt nur, wenn sie unumgänglich ist.

Was kann ich tun, wenn ich Opfer von sexueller Gewalt geworden bin?

Bei Sexualstraftaten ist es wichtig, dass sich das Opfer so rasch als möglich (<72 Std.) in rechtsmedizinische Untersuchung begibt und vorher möglichst keine Spuren verwischt resp. entfernt, auch wenn dies sehr belastend sein kann. Mit der rechtsmedizinischen Beweissicherung geht keine Meldung an die Polizei einher, das Opfer kann weiterhin selbst entscheiden. Wenn aber – auch zu einem späteren Zeitpunkt – eine Anzeige gemacht werden will, werden die von den Spezialist:innen gesicherten Sachbeweise den zuständigen Behörden zur Verfügung gestellt. Für die Ermittlung ist die Beweissicherung für die spätere Beweisführung zentral. Opfer von sexueller Gewalt können sich unabhängig von einer Strafanzeige bei der Opferhilfe melden. Dort werden Opfer rechtlich, psychologisch und auch bezüglich eines Ermittlungsverfahrens beraten. Opfer eines Sexualdeliktes haben im Strafverfahren bestimmte Informations- und Schutzrechte. Die Polizei und die Opferhilfe informieren im Detail darüber.

Was kann ich mich als erwachsene Person vor einem sexuellen Übergriff schützen?

Im Notfall: Melden Sie sich so rasch wie möglich bei der Polizei (Notrufnummer 117).

Zum Schutz der sexuellen Unversehrtheit im öffentlichen Raum gelten für alle gleichermassen folgende Tipps:

  • Meiden Sie Kontakt mit Betrunkenen oder mit Menschen unter Drogeneinfluss. Auch eigener übermässiger Alkohol- oder anderer Drogenkonsum kann gefährlich sein, vor allem, wenn man alleine unterwegs ist.
  • Lassen Sie Ihren Drink nicht unbeaufsichtigt. Achten Sie auf Ihr Getränk, damit Sie verhindern, dass eine Substanz wie K.O.-Tropfen ohne Ihr Wissen hineingetan wird.
  • Falls Sie doch angegriffen werden: Schreien Sie laut, beissen Sie, reissen Sie sich los, schlagen Sie um sich, treten und boxen Sie, wenn Sie angegriffen werden. Gegenwehr ist der sicherste Weg zur erfolgreichen Abwehr sexueller Gewalt.

Zum Schutz der sexuellen Unversehrtheit im Ausgang informieren Sie sich auch auf der Seite zu unserer Kampagne Gut ausgegangen?.

Sexuelle Gewalt geht auch unter Erwachsenen öfter von bekannten Personen aus. Zum Schutz der sexuellen Unversehrtheit im privaten Bereich informieren Sie sich dazu auf der Themenseite Häusliche Gewalt.

Was heisst/umfasst eigentlich «sexuelle Gewalt»?

Sexuelle Gewalt an Erwachsenen umfasst jede Form von erzwungenen sexuellen Handlungen und grenzverletzendem Verhalten mit sexuellem Bezug. Sie kommt als sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, als sexuelle Ausbeutung in einer Abhängigkeitsbeziehung (z.B. im Angestelltenverhältnis) oder als erzwungener Geschlechtsverkehr in der Ehe oder in Partnerschaften vor. Bei sexueller Gewalt handelt es sich – neben der erzwungenen Befriedigung sexueller Bedürfnisse – oft um eine Form von Machtausübung, Erniedrigung und Demütigung.

Wie häufig kommt sexuelle Gewalt an Kindern und an Erwachsenen vor?

Das Bundesamt für Statistik veröffentlicht jährlich die Polizeiliche Kriminalstatistik, die Auskunft zu den polizeilich gemeldeten Straftaten gibt. Auch die Verurteilungen gemäss Strafartikel können nachgeschaut werden. Die Statistiken geben aber nur Auskunft über das so genannte Hellfeld, das heisst über Straftaten, die den Behörden gemeldet wurden. Da Sexualdelikte schambehaftet sind, werden sie oft nicht zur Anzeige gebracht und verbleiben im so genannten Dunkelfeld.

Sich als Erwachsene(r) vor sexueller Gewalt schützen

  • Im Notfall: Melden Sie sich so rasch wie möglich bei der Polizei (Notrufnummer 117).
  • Meiden Sie Kontakt mit Betrunkenen oder mit Menschen unter Drogeneinfluss. Auch eigener übermässiger Alkohol- oder anderer Drogenkonsum kann gefährlich sein, vor allem, wenn man alleine unterwegs ist.
  • Lassen Sie Ihren Drink nicht unbeaufsichtigt. Achten Sie auf Ihr Getränk, damit Sie verhindern, dass eine Substanz wie K.O.-Tropfen ohne Ihr Wissen hineingetan wird.
  • Falls Sie doch angegriffen werden: Schreien Sie laut, beissen Sie, reissen Sie sich los, schlagen Sie um sich, treten und boxen Sie, wenn Sie angegriffen werden. Gegenwehr ist der sicherste Weg zur erfolgreichen Abwehr sexueller Gewalt.
  • Zum Schutz der sexuellen Unversehrtheit im privaten Bereich informieren Sie sich auf der Themenseite Häusliche Gewalt.
  • Zum Schutz der sexuellen Unversehrtheit im Ausgang informieren Sie sich auch auf der Seite zu unserer Kampagne Gut ausgegangen?.

Wenn Ihrem Kind etwas passiert ist oder passiert sein könnte

Die Regeln, wie Erwachsene ihre Kinder schützen können, gelten auch für das Verhalten im Internet.
  • Falls trotz aller Vorsicht etwas passiert ist oder passiert sein könnte, ist es wichtig, besonnen zu reagieren. Berichtet ein Kind von Beobachtungen, (unangenehmen) Erfahrungen, Übergriffen, Drohungen etc., glauben Sie ihm und hören Sie aufmerksam zu.
  • Loben Sie es, weil es sich Ihnen anvertraut hat. Schimpfen Sie nicht, falls das Kind etwas falsch gemacht hat. Es wird sich sonst nicht mehr an Sie wenden.
  • Melden Sie diese konkreten Beobachtungen oder Erfahrungen Ihres Kindes der Polizei. Die Polizei ist auf solche Hinweise angewiesen.
  • Sollte Ihr Kind nicht zum erwarteten Zeitpunkt heimkehren, erkundigen Sie sich unverzüglich bei seiner Lehrperson, bei Freundinnen oder Freunden. Falls Ihr Kind unauffindbar bleibt, wenden Sie sich sofort über die Notfallnummer 117 an die Polizei. Die Polizei nimmt jede Meldung ernst und geht ihr unverzüglich nach.

Kinder schützen

Die Regeln, wie Kinder sich schützen können, gelten auch für das Verhalten im Internet.

Die beste Prävention ist eine frühzeitige und der jeweiligen Entwicklung angepasste Aufklärung. Das Kind sollte wissen, dass es …

  • Menschen gibt, die gleichzeitig «lieb und böse» sein können.
  • Menschen gibt, die während des Spielens fliessend zum Missbrauch übergehen.
  • das Recht hat, «Nein» zu sagen.
  • an einem sexuellen Übergriff niemals schuld ist, denn die Verantwortung liegt immer beim Erwachsenen.

Angst ist ein schlechter Ratgeber und Selbstbewusstsein ist ein wirksamer Schutz vor sexuellen Übergriffen! 

  • Machen Sie Ihrem Kind bewusst, dass es eine eigene Persönlichkeit ist, mit Grenzen, die es selbst bestimmen darf.
  • Sagen Sie Ihrem Kind, dass es nicht feige ist, Angst zu haben, wegzulaufen oder sich Hilfe zu holen. Das Kind soll seinem schlechten/unguten Gefühl vertrauen. Ist dem Kind eine Situation aus irgendwelchen Gründen nicht geheuer, soll es weggehen und vertraute Orte/Menschen aufsuchen.
  • Vermitteln Sie Ihrem Kind, dass es Ihnen alle seine Erlebnisse erzählen kann. Auch jene, die ihm merkwürdig oder beängstigend vorkommen oder jene, die zustande kamen, weil das Kind nicht gehorcht hat (z.B. anderer Schulweg). Nehmen Sie sich Zeit, mit Ihrem Kind über seine Erlebnisse und Sorgen zu sprechen.
  • Pünktlichkeit ist eine Tugend: Erklären Sie Ihrem Kind, weshalb es wichtig ist, dass es immer den vereinbarten Schulweg geht und möglichst pünktlich zu Hause, in der Schule, im Hort etc. ist.
  • Zeigen Sie Interesse und fragen Sie bei Auffälligkeiten nach. Interessieren Sie sich für den Bekannten- und Freundeskreis Ihres Kindes und deren gemeinsame Aktivitäten. Fragen Sie nach, wenn Ihr Kind plötzlich neue Sachen besitzt oder von netten neuen Freunden erzählt, die deutlich älter sind.

Bei Verdacht auf Kindsmissbrauch

  • Besteht die Gewissheit oder der dringende Verdacht auf sexuelle Missbrauch eines Kindes, auch im Internet, dann erstatten Sie unverzüglich Anzeige bei der Polizei!
  • Besteht kein konkreter Tatverdacht, aber eine vage Vermutung, dass im familiären oder sozialen Umfeld des Kindes «etwas» nicht mit rechten Dingen zugehen könnte, so haben Sie die Möglichkeit, sich vorerst an eine Fach- oder Beratungsstelle zu wenden. Die Opferhilfe in Ihrem Kanton kann Sie diesbezüglich informieren. 

Sexuelle Gewalt an Erwachsenen

Sexuelle Gewalt an Erwachsenen umfasst jede Form von erzwungenen sexuellen Handlungen und grenzverletzendem Verhalten mit sexuellem Bezug. Sie kommt als sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, als sexuelle Ausbeutung in einer Abhängigkeitsbeziehung (z.B. im Angestelltenverhältnis) oder als erzwungener Geschlechtsverkehr in der Ehe oder in Partnerschaften vor. Bei sexueller Gewalt handelt es sich – neben der erzwungenen Befriedigung sexueller Bedürfnisse – oft um eine Form von Machtausübung, Erniedrigung und Demütigung.

Formen sexueller Gewalt sind: anzügliche Bemerkungen mit sexuellem Bezug, sexistische Körpersprache oder Gesten, unerwünschte Berührungen, sexuelle und körperliche Übergriffe bis hin zur Nötigung und Vergewaltigung. Auch wenn die meisten Opfer von sexueller Gewalt weiblich sind, kann jede Person zum Opfer werden.

Sexuelle Belästigung, sexuelle Handlungen mit Abhängigen, sexueller Übergriff und sexuelle Nötigung und Vergewaltigung sind Delikte, die strafrechtlich verfolgt werden. Die verurteilte Person kann bei Straftaten gegen die sexuelle Integrität auch verpflichtet werden, ein Präventionsprogramm zu absolvieren.

Rechtslage

Im Folgenden ist eine Auswahl der wichtigsten Strafgesetzartikel im Zusammenhang mit sexueller Gewalt aufgeführt.

Art. 188 StGB: Angriffe auf die sexuelle Freiheit und Unversehrtheit. Sexuelle Handlungen mit Abhängigen

Wer sexuelle Handlungen mit einer abhängigen Person im Alter zwischen 16 und 18 Jahren vornimmt, macht sich strafbar. Neben dem Alter des Opfers spielt also auch das Abhängigkeitsverhältnis eine Rolle. Diese Abhängigkeit kann sich auf ein Erziehungs-, Betreuungs- oder Arbeitsverhältnis beziehen oder sich auch aus sportlichen, kulturellen oder religiösen Aktivitäten ergeben (Trainer, Coach, Leiter etc.).

Art. 189 StGB: Sexueller Übergriff und sexuelle Nötigung

Wer gegen deren Willen einer Person eine sexuelle Handlung vornimmt oder von dieser vornehmen lässt, oder zu diesem Zweck einen Schockzustand der Person ausnutzt, macht sich strafbar.

Wer durch Drohung, Gewaltanwendung, indem er sein Opfer psychisch unter Druck setzt oder zum Widerstand unfähig macht, eine Person zu diesem Zweck zwingt, macht sich strafbar.

Art. 190 StGB: Vergewaltigung

Wer gegen deren Willen einer Person einen Beischlaf oder eine beischlafähnliche Handlung, die mit einem oralen, vaginalen oder analen Eindringen in den Körper verbunden ist, vornimmt oder von dieser vornehmen lässt, oder zu diesem Zweck einen Schockzustand einer Person ausnutzt, macht sich strafbar.

Wer durch Drohung, Gewaltanwendung, indem er sein Opfer psychisch unter Druck setzt oder zum Widerstand unfähig macht, eine Person zu diesem Zweck zwingt, macht sich auch strafbar.

Art. 191 StGB: Missbrauch einer urteilsunfähigen oder zum Widerstand unfähigen Person

Der Unterschied zwischen Missbrauch einer urteilsunfähigen oder zum Widerstand unfähigen Person und einem sexuellen Übergriff, einer sexuellen Nötigung oder Vergewaltigung liegt darin, dass der Täter:in ein Opfer missbraucht, das bereits widerstandsunfähig ist. Beim Missbrauch einer urteilsunfähigen oder zum Widerstand unfähigen Person nach Art. 191 StGB kann der Grund für die Widerstandsunfähigkeit dauernd (bspw. bei psychisch kranken Personen) oder vorübergehend sein (bspw. bei stark betrunkenen oder bewusstlosen Personen).

Art. 193 StGB: Ausnützung einer Notlage oder Abhängigkeit

Wer eine Person veranlasst, eine sexuelle Handlung vorzunehmen oder zu dulden, indem er eine Notlage oder eine durch ein Arbeitsverhältnis oder eine in anderer Weise begründete Abhängigkeit ausnützt, macht sich strafbar.

Art. 193a StGB: Täuschung über den sexuellen Charakter einer Handlung

Wer bei der Ausübung einer beruflichen oder organisierten ausserberuflichen Tätigkeit im Gesundheitsbereich an einer Person eine sexuelle Handlung vornimmt oder von ihr vornehmen lässt und sie dabei über den Charakter der Handlung täuscht oder ihren Irrtum über den Charakter der Handlung ausnützt, macht sich strafbar.

Art. 197a StGB: Unbefugtes Weiterleiten von nicht öffentlichen sexuellen Inhalten

Wer einen nicht öffentlichen sexuellen Inhalt (Bild, Video, Schrift, Gegenstand) ohne Zustimmung der darin erkennbaren Person einer Drittperson weiterleitet, macht sich strafbar. Im Gegensatz zu den übrigen Sexualdelikten wird es nur bestraft, wenn das Opfer einen Strafantrag stellt. Es handelt sich also um ein Antragsdelikt.

Art. 198 StGB: Übertretungen gegen die sexuelle Integrität. Sexuelle Belästigungen

Sexuelle Belästigung richtet sich gegen Personen, welche die vorgenommene sexuelle Handlung nicht erwarten. Die Belästigung kann physisch (ungewolltes Berühren sekundärer Geschlechtsmerkmale), verbal (vulgäre resp. unanständige Ausdrücke, Bemerkungen zu Geschlechtsteilen oder zum Sexualleben des Opfers) oder durch Schrift oder Bild erfolgen. Im Gegensatz zu den übrigen Sexualdelikten wird sexuelle Belästigung nur bestraft, wenn das Opfer einen Strafantrag stellt. Es handelt sich also um ein Antragsdelikt.

Sonderfälle

Rachepornografie (Revenge Porn) bezeichnet das Weiterleiten bzw. die Veröffentlichung intimer Fotos und Videos ohne Einwilligung der dort erkennbaren Person. In der Regel geschieht dies, um die Person zu demütigen und zu schädigen. Dies führt oft zu schwerwiegenden emotionalen, sozialen und beruflichen Konsequenzen für die Opfer. Zudem ist es eine Form von digitalem Missbrauch. Revenge Porn ist unter Art. 197a Abs. 1, 2 StGB strafbar.

Der Versand von so genannten Dick-pics bei dem einer Person unaufgefordert ein Penisfoto verschickt wird, kann immer unter Art. 197 Abs. 2 StGB verfolgt werden.

Stealthing, bei dem ohne Wissen des Partners bei einvernehmlichen sexuellen Handlungen oder einvernehmlichen Geschlechtsverkehr mit Eindringen heimlich das Kondom entfernt oder kein Kondom verwendet wird, könnte ebenfalls strafrechtlich verfolgt werden.

Was tut die Polizei?

Ermittlung

Die Polizei ermittelt bei sexuellen Handlungen bei Kenntnis der Sachlage von Amtes wegen (mit Ausnahme der sexuellen Belästigung, die ein Antragsdelikt ist). Wenn die Polizei über eine vermutete Sexualstraftat in Kenntnis gesetzt wird, werden folgende Prozesse in Gang gesetzt: Die Polizei trägt unter Leitung der zuständigen Staatsanwaltschaft die Beweise zusammen (z.B. Befragung von Auskunftspersonen und Zeugen, rechtsmedizinische Untersuchungen etc.). Eine allfällig tatverdächtige Person kann infolgedessen in Untersuchungshaft genommen werden, besonders dann, wenn Fluchtgefahr oder Wiederholungsgefahr besteht. Je mehr Beweismaterial die Polizei findet, desto leichter wird das Strafverfahren für das Opfer. Ermittlungen bei Sexualstraftaten können für Opfer sehr belastend sein. Deshalb ist es wichtig, dass sie transparent informiert werden, sich nicht unter Druck gesetzt fühlen und realistische Erwartungen an ein Strafverfahren haben.

Rechtsmedizinische Beweissicherung und Opferhilfe

Bei Sexualstraftaten ist es wichtig, dass sich das Opfer so rasch als möglich (<72 Std.) in rechtsmedizinische Untersuchung begibt und vorher möglichst keine Spuren verwischt resp. entfernt, auch wenn dies sehr belastend sein kann. Mit der rechtsmedizinischen Beweissicherung geht keine Meldung an die Polizei einher, das Opfer kann weiterhin selbst entscheiden. Wenn aber – auch zu einem späteren Zeitpunkt – eine Anzeige gemacht werden will, werden die von den Spezialist:innen gesicherten Sachbeweise den zuständigen Behörden zur Verfügung gestellt. Für die Ermittlung ist die Beweissicherung für die spätere Beweisführung zentral. Opfer von sexueller Gewalt können sich unabhängig von einer Strafanzeige bei der Opferhilfe melden. Dort werden Opfer rechtlich, psychologisch und auch bezüglich eines Ermittlungsverfahrens beraten. Opfer eines Sexualdeliktes haben im Strafverfahren bestimmte Informations- und Schutzrechte. Die Polizei und die Opferhilfe informieren im Detail darüber.

Einvernahmen und Strafverfahren

Die Aussagen des Opfers eines Sexualdeliktes sind für eine allfällige Verurteilung der beschuldigten Person von zentraler Bedeutung, vor allem, wenn keine oder kaum Sachbeweise vorliegen. Ab dem 15. Altersjahr wird ein Opfer in der Regel als Zeuge oder Zeugin von einer Polizistin resp. von einem Polizisten desselben Geschlechts wie das Opfer einvernommen. Opfer können sich bei der Einvernahme von einer Vertrauensperson begleiten lassen (z.B. von einer Opferberaterin). Wenn das Opfer zum Zeitpunkt der Eröffnung der Strafuntersuchung unter 18 Jahre alt ist, wird es maximal zwei Mal einvernommen. Eine zweite Einvernahme erfolgt nur, wenn sie unumgänglich ist.

Was kann ich tun?

Sich als Erwachsene(r) vor sexueller Gewalt schützen

  • Im Notfall: Melden Sie sich so rasch wie möglich bei der Polizei (Notrufnummer 117).
  • Meiden Sie Kontakt mit Betrunkenen oder mit Menschen unter Drogeneinfluss. Auch eigener übermässiger Alkohol- oder anderer Drogenkonsum kann gefährlich sein, vor allem, wenn man alleine unterwegs ist.
  • Lassen Sie Ihren Drink nicht unbeaufsichtigt. Achten Sie auf Ihr Getränk, damit Sie verhindern, dass eine Substanz wie K.O.-Tropfen ohne Ihr Wissen hineingetan wird.
  • Falls Sie doch angegriffen werden: Schreien Sie laut, beissen Sie, reissen Sie sich los, schlagen Sie um sich, treten und boxen Sie, wenn Sie angegriffen werden. Gegenwehr ist der sicherste Weg zur erfolgreichen Abwehr sexueller Gewalt.
  • Zum Schutz der sexuellen Unversehrtheit im privaten Bereich informieren Sie sich auf der Themenseite Häusliche Gewalt.
  • Zum Schutz der sexuellen Unversehrtheit im Ausgang informieren Sie sich auch auf der Seite zu unserer Kampagne Gut ausgegangen?.

Beratungsstellen

  • Die Stiftung Sexuelle Gesundheit Schweiz informiert auf ihre Webseite umfangreich zu den Themen sexuelle Gesundheit, Familienplanung und Sexualpädagogik und hilft eine passende regionale Beratungsstelle zu finden.
  • Anonyme Onlineberatung und Information rund um Sexualität, Gewalt, Beziehungen, Frauen- und Männerthemen: www.lilli.ch (in Deutsch und Englisch)

Medizinische Einrichtungen

Falls Sie Opfer einer Sexualstraftat geworden sind und sie noch nicht wissen, ob Sie eine Anzeige erstatten wollen, begeben Sie sich dennoch so schnell wie möglich in ein Krankenhaus, um eine rechtsmedizinische Untersuchung durchführen zu lassen, damit eine Spurensicherung durchgeführt werden kann. Informationen dazu finden Sie auf der Seite:

Sind Sie sicher?

Die Broschüre behandelt die ganze Bandbreite an Delikten; vom einfachen Diebstahl über verschiedenste Online-Betrugsformen bis hin zu Stalk­ing oder häusliche Gewalt. Nach einer kurzen Beschreibung der typischen Mechanismen der Deliktsformen erfährt die Leserschaft die wichtigsten Präventionstipps und wird zu weiterführenden Informationen auf der SKP-Webseite verwiesen. Somit ist man weniger auf das Wissen einzelner Maschen und Tricks angewiesen ist, sondern wird im Idealfall präventionskompetent und kann sich ­ein­facher auch vor Delikten schützen, von denen man noch nie gehört hat. (Die Broschüre ist auch in Englisch verfügbar.)

«DIS NO»: Damit Menschen mit einer pädophilen Neigung «Nein» sagen können!...

Das Ziel der Organisation ist es, im Einklang mit der Lanzarote-Konvention, Kinder vor physischen und psychischen Misshandlungen sowie sexuellem Missbrauch zu schützen, indem sie mittels konkreten präventiven Massnahmen potentiellen Täter/innen mit pädophilen Neigungen anzusprechen versuchen. Unterstützt wird DIS NO, nebst Spenden, vom Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) sowie dem Kanton Waadt. Vergleichbare Anlaufstellen in der Deutschschweiz sind das Forensische Institut Ostschweiz (forio) und die Forensisch-Psychiatrische Klinik in Basel, die Beratungen und Therapie für Menschen mit pädophiler Neigung anbieten.

Präventiver Aspekt im Vordergrund

Seit dem Jahr 2014 verfolgt die Organisation einen neuen Ansatz in der Prävention von Misshandlungen und sexuellem Missbrauch von Kindern. DIS NO bietet für Jugendliche und Erwachsene, die eine sexuelle Anziehung zu Kindern verspüren aber noch keinen Missbrauch begangen haben, eine direkte und, wenn gewünscht, anonyme Ansprechmöglichkeit. Indem DIS NO Beratungen ermöglicht, agierte sie präventiv und versucht auf niederschwellige Art und Weise, potentielle Täter/innen von einem Übergriff auf ein Kind abzuhalten und gleichermassen die Integrität der Kinder zu schützen und zu wahren. Das Schaffen einer derartigen Anlaufstelle kann einerseits Personen ermutigen, sich zu öffnen und ihre Neigungen jemandem anzuvertrauen, die sich von Kindern und/oder pädopornografischen Bildern sexuell angezogen fühlen. Auf der anderen Seite kann DIS NO auch den Menschen helfen, die zwar selbst nicht pädophil sind aber als Kind missbraucht wurden und nun Angst haben als Reaktion auf das Trauma, im Erwachsenenalter selbst ein Kind zu missbrauchen.

Wie kann DIS NO helfen?

DIS NO ist telefonisch oder per Mail erreichbar. Die Beratungen sind jeweils kostenlos und unverbindlich. Ähnlich wie das Projekt Kein Täter werden in Deutschland, analysiert DIS NO das Thema Pädosexualität auf einer sachlichen Basis, unterstützt Personen im Umgang mit ihren Neigungen und hilft ihnen bei der Suche nach geeigneten Therapiemöglichkeiten. Aus präventiver Sicht macht dies durchaus Sinn, denn so wartet man mit der entsprechenden Behandlung nicht bis eine Person straffällig wird, und lässt sie mit ihrer seltenen Neigung, die sie sich nicht selbst ausgesucht haben, nicht alleine.

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