
Sexuelle Gewalt an Erwachsenen
Sexuelle Gewalt kann überall in der Gesellschaft und in den unterschiedlichsten Kontexten stattfinden. Deshalb ist es wichtig, dass die Prävention gezielt sowohl nach Zielgruppen (potenzielle Täterschaft und potenzielle Opfer) als auch nach Konstellationen unterscheidet. Nicht allen Formen kann mit denselben Empfehlungen begegnet werden, deshalb behandeln wir im Folgenden verschiedene Formen im Einzelnen.
Sexuelle Gewalt an Erwachsenen umfasst jede Form von erzwungenen sexuellen Handlungen und grenzverletzendem Verhalten mit sexuellem Bezug. Sie kommt als sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, als sexuelle Ausbeutung in einer Abhängigkeitsbeziehung (z.B. im Angestelltenverhältnis) oder als erzwungener Geschlechtsverkehr in der Ehe oder in Partnerschaften vor. Bei sexueller Gewalt handelt es sich – neben der erzwungenen Befriedigung sexueller Bedürfnisse – oft um eine Form von Machtausübung, Erniedrigung und Demütigung.
Formen sexueller Gewalt sind: anzügliche Bemerkungen mit sexuellem Bezug, sexistische Körpersprache oder Gesten, unerwünschte Berührungen, sexuelle und körperliche Übergriffe bis hin zur Nötigung und Vergewaltigung. Auch wenn die meisten Opfer von sexueller Gewalt weiblich sind, kann jede Person zum Opfer werden.
Sexuelle Belästigung, sexuelle Handlungen mit Abhängigen, sexueller Übergriff und sexuelle Nötigung und Vergewaltigung sind Delikte, die strafrechtlich verfolgt werden. Die verurteilte Person kann bei Straftaten gegen die sexuelle Integrität auch verpflichtet werden, ein Präventionsprogramm zu absolvieren.
Rechtslage
Im Folgenden ist eine Auswahl der wichtigsten Strafgesetzartikel im Zusammenhang mit sexueller Gewalt aufgeführt.
Art. 188 StGB: Angriffe auf die sexuelle Freiheit und Unversehrtheit. Sexuelle Handlungen mit Abhängigen
Wer sexuelle Handlungen mit einer abhängigen Person im Alter zwischen 16 und 18 Jahren vornimmt, macht sich strafbar. Neben dem Alter des Opfers spielt also auch das Abhängigkeitsverhältnis eine Rolle. Diese Abhängigkeit kann sich auf ein Erziehungs-, Betreuungs- oder Arbeitsverhältnis beziehen oder sich auch aus sportlichen, kulturellen oder religiösen Aktivitäten ergeben (Trainer, Coach, Leiter etc.).
Art. 189 StGB: Sexueller Übergriff und sexuelle Nötigung
Wer gegen deren Willen einer Person eine sexuelle Handlung vornimmt oder von dieser vornehmen lässt, oder zu diesem Zweck einen Schockzustand der Person ausnutzt, macht sich strafbar.
Wer durch Drohung, Gewaltanwendung, indem er sein Opfer psychisch unter Druck setzt oder zum Widerstand unfähig macht, eine Person zu diesem Zweck zwingt, macht sich strafbar.
Art. 190 StGB: Vergewaltigung
Wer gegen deren Willen einer Person einen Beischlaf oder eine beischlafähnliche Handlung, die mit einem oralen, vaginalen oder analen Eindringen in den Körper verbunden ist, vornimmt oder von dieser vornehmen lässt, oder zu diesem Zweck einen Schockzustand einer Person ausnutzt, macht sich strafbar.
Wer durch Drohung, Gewaltanwendung, indem er sein Opfer psychisch unter Druck setzt oder zum Widerstand unfähig macht, eine Person zu diesem Zweck zwingt, macht sich auch strafbar.
Art. 191 StGB: Missbrauch einer urteilsunfähigen oder zum Widerstand unfähigen Person
Der Unterschied zwischen Missbrauch einer urteilsunfähigen oder zum Widerstand unfähigen Person und einem sexuellen Übergriff, einer sexuellen Nötigung oder Vergewaltigung liegt darin, dass der Täter:in ein Opfer missbraucht, das bereits widerstandsunfähig ist. Beim Missbrauch einer urteilsunfähigen oder zum Widerstand unfähigen Person nach Art. 191 StGB kann der Grund für die Widerstandsunfähigkeit dauernd (bspw. bei psychisch kranken Personen) oder vorübergehend sein (bspw. bei stark betrunkenen oder bewusstlosen Personen).
Art. 193 StGB: Ausnützung einer Notlage oder Abhängigkeit
Wer eine Person veranlasst, eine sexuelle Handlung vorzunehmen oder zu dulden, indem er eine Notlage oder eine durch ein Arbeitsverhältnis oder eine in anderer Weise begründete Abhängigkeit ausnützt, macht sich strafbar.
Art. 193a StGB: Täuschung über den sexuellen Charakter einer Handlung
Wer bei der Ausübung einer beruflichen oder organisierten ausserberuflichen Tätigkeit im Gesundheitsbereich an einer Person eine sexuelle Handlung vornimmt oder von ihr vornehmen lässt und sie dabei über den Charakter der Handlung täuscht oder ihren Irrtum über den Charakter der Handlung ausnützt, macht sich strafbar.
Art. 197a StGB: Unbefugtes Weiterleiten von nicht öffentlichen sexuellen Inhalten
Wer einen nicht öffentlichen sexuellen Inhalt (Bild, Video, Schrift, Gegenstand) ohne Zustimmung der darin erkennbaren Person einer Drittperson weiterleitet, macht sich strafbar. Im Gegensatz zu den übrigen Sexualdelikten wird es nur bestraft, wenn das Opfer einen Strafantrag stellt. Es handelt sich also um ein Antragsdelikt.
Art. 198 StGB: Übertretungen gegen die sexuelle Integrität. Sexuelle Belästigungen
Sexuelle Belästigung richtet sich gegen Personen, welche die vorgenommene sexuelle Handlung nicht erwarten. Die Belästigung kann physisch (ungewolltes Berühren sekundärer Geschlechtsmerkmale), verbal (vulgäre resp. unanständige Ausdrücke, Bemerkungen zu Geschlechtsteilen oder zum Sexualleben des Opfers) oder durch Schrift oder Bild erfolgen. Im Gegensatz zu den übrigen Sexualdelikten wird sexuelle Belästigung nur bestraft, wenn das Opfer einen Strafantrag stellt. Es handelt sich also um ein Antragsdelikt.
Sonderfälle
Rachepornografie (Revenge Porn) bezeichnet das Weiterleiten bzw. die Veröffentlichung intimer Fotos und Videos ohne Einwilligung der dort erkennbaren Person. In der Regel geschieht dies, um die Person zu demütigen und zu schädigen. Dies führt oft zu schwerwiegenden emotionalen, sozialen und beruflichen Konsequenzen für die Opfer. Zudem ist es eine Form von digitalem Missbrauch. Revenge Porn ist unter Art. 197a Abs. 1, 2 StGB strafbar.
Der Versand von so genannten Dick-pics bei dem einer Person unaufgefordert ein Penisfoto verschickt wird, kann immer unter Art. 197 Abs. 2 StGB verfolgt werden.
Stealthing, bei dem ohne Wissen des Partners bei einvernehmlichen sexuellen Handlungen oder einvernehmlichen Geschlechtsverkehr mit Eindringen heimlich das Kondom entfernt oder kein Kondom verwendet wird, könnte ebenfalls strafrechtlich verfolgt werden.

Was tut die Polizei?
Ermittlung
Die Polizei ermittelt bei sexuellen Handlungen bei Kenntnis der Sachlage von Amtes wegen (mit Ausnahme der sexuellen Belästigung, die ein Antragsdelikt ist). Wenn die Polizei über eine vermutete Sexualstraftat in Kenntnis gesetzt wird, werden folgende Prozesse in Gang gesetzt: Die Polizei trägt unter Leitung der zuständigen Staatsanwaltschaft die Beweise zusammen (z.B. Befragung von Auskunftspersonen und Zeugen, rechtsmedizinische Untersuchungen etc.). Eine allfällig tatverdächtige Person kann infolgedessen in Untersuchungshaft genommen werden, besonders dann, wenn Fluchtgefahr oder Wiederholungsgefahr besteht. Je mehr Beweismaterial die Polizei findet, desto leichter wird das Strafverfahren für das Opfer. Ermittlungen bei Sexualstraftaten können für Opfer sehr belastend sein. Deshalb ist es wichtig, dass sie transparent informiert werden, sich nicht unter Druck gesetzt fühlen und realistische Erwartungen an ein Strafverfahren haben.
Rechtsmedizinische Beweissicherung und Opferhilfe
Bei Sexualstraftaten ist es wichtig, dass sich das Opfer so rasch als möglich (<72 Std.) in rechtsmedizinische Untersuchung begibt und vorher möglichst keine Spuren verwischt resp. entfernt, auch wenn dies sehr belastend sein kann. Mit der rechtsmedizinischen Beweissicherung geht keine Meldung an die Polizei einher, das Opfer kann weiterhin selbst entscheiden. Wenn aber – auch zu einem späteren Zeitpunkt – eine Anzeige gemacht werden will, werden die von den Spezialist:innen gesicherten Sachbeweise den zuständigen Behörden zur Verfügung gestellt. Für die Ermittlung ist die Beweissicherung für die spätere Beweisführung zentral. Opfer von sexueller Gewalt können sich unabhängig von einer Strafanzeige bei der Opferhilfe melden. Dort werden Opfer rechtlich, psychologisch und auch bezüglich eines Ermittlungsverfahrens beraten. Opfer eines Sexualdeliktes haben im Strafverfahren bestimmte Informations- und Schutzrechte. Die Polizei und die Opferhilfe informieren im Detail darüber.
Einvernahmen und Strafverfahren
Die Aussagen des Opfers eines Sexualdeliktes sind für eine allfällige Verurteilung der beschuldigten Person von zentraler Bedeutung, vor allem, wenn keine oder kaum Sachbeweise vorliegen. Ab dem 15. Altersjahr wird ein Opfer in der Regel als Zeuge oder Zeugin von einer Polizistin resp. von einem Polizisten desselben Geschlechts wie das Opfer einvernommen. Opfer können sich bei der Einvernahme von einer Vertrauensperson begleiten lassen (z.B. von einer Opferberaterin). Wenn das Opfer zum Zeitpunkt der Eröffnung der Strafuntersuchung unter 18 Jahre alt ist, wird es maximal zwei Mal einvernommen. Eine zweite Einvernahme erfolgt nur, wenn sie unumgänglich ist.
Was kann ich tun?
Sich als Erwachsene(r) vor sexueller Gewalt schützen
- Im Notfall: Melden Sie sich so rasch wie möglich bei der Polizei (Notrufnummer 117).
- Meiden Sie Kontakt mit Betrunkenen oder mit Menschen unter Drogeneinfluss. Auch eigener übermässiger Alkohol- oder anderer Drogenkonsum kann gefährlich sein, vor allem, wenn man alleine unterwegs ist.
- Lassen Sie Ihren Drink nicht unbeaufsichtigt. Achten Sie auf Ihr Getränk, damit Sie verhindern, dass eine Substanz wie K.O.-Tropfen ohne Ihr Wissen hineingetan wird.
- Falls Sie doch angegriffen werden: Schreien Sie laut, beissen Sie, reissen Sie sich los, schlagen Sie um sich, treten und boxen Sie, wenn Sie angegriffen werden. Gegenwehr ist der sicherste Weg zur erfolgreichen Abwehr sexueller Gewalt.
- Zum Schutz der sexuellen Unversehrtheit im privaten Bereich informieren Sie sich auf der Themenseite Häusliche Gewalt.
- Zum Schutz der sexuellen Unversehrtheit im Ausgang informieren Sie sich auch auf der Seite zu unserer Kampagne Gut ausgegangen?.
Beratungsstellen
- Die Stiftung Sexuelle Gesundheit Schweiz informiert auf ihre Webseite umfangreich zu den Themen sexuelle Gesundheit, Familienplanung und Sexualpädagogik und hilft eine passende regionale Beratungsstelle zu finden.
- Anonyme Onlineberatung und Information rund um Sexualität, Gewalt, Beziehungen, Frauen- und Männerthemen: www.lilli.ch (in Deutsch und Englisch)
Medizinische Einrichtungen
Falls Sie Opfer einer Sexualstraftat geworden sind und sie noch nicht wissen, ob Sie eine Anzeige erstatten wollen, begeben Sie sich dennoch so schnell wie möglich in ein Krankenhaus, um eine rechtsmedizinische Untersuchung durchführen zu lassen, damit eine Spurensicherung durchgeführt werden kann. Informationen dazu finden Sie auf der Seite:
- der Notfall Frauenklinik des Universitätsspitals in Basel
- der Frauenklinik des Universitätsspitals in Bern
- der Klinik für Gynäkologie des Universitätsspitals in Zürich und auf dem Notfall den Aufsuchenden Dienst Forensic Nurses des Kantons Zürich: 0800 09 09 09
- der Gewaltopferambulanz des CURML (Centre Universitaire Romand de Médecine légale)
- der gynäkologisch-geburtshilflichen des HUGs in Genf
Sind Sie sicher?
Die Broschüre behandelt die ganze Bandbreite an Delikten; vom einfachen Diebstahl über verschiedenste Online-Betrugsformen bis hin zu Stalking oder häusliche Gewalt. Nach einer kurzen Beschreibung der typischen Mechanismen der Deliktsformen erfährt die Leserschaft die wichtigsten Präventionstipps und wird zu weiterführenden Informationen auf der SKP-Webseite verwiesen. Somit ist man weniger auf das Wissen einzelner Maschen und Tricks angewiesen ist, sondern wird im Idealfall präventionskompetent und kann sich einfacher auch vor Delikten schützen, von denen man noch nie gehört hat. (Die Broschüre ist auch in Englisch verfügbar.)