|

Als Herr R. auf dem Nachhauseweg von seiner Arbeit in der Bank spätabends durch die menschenleere Innenstadt schlendert, stösst er plötzlich auf zwei Männer, die in einer dunklen Seitenstrasse einen Jugendlichen verprügeln. Obwohl der Jugendliche bereits vor Schmerzen gekrümmt am Boden liegt, lassen die beiden Schläger nicht von ihm ab. Gefangen in einer Spirale der Gewalt bemerken die beiden nicht, wie sie vom etwas abseits stehenden Herr R. beobachtet werden. Was soll und muss Herr R. als plötzlicher und (noch) unbeteiligter Zeuge in dieser Situation machen?

  1. Gefahrlos handeln 
    Herr R. soll und muss dem Jugendlichen helfen, ohne sich dabei selbst in Gefahr zu bringen. Niemand möchte, dass Herr R. ein zweites Opfer wird, währendem er dem ersten Opfer zu helfen versucht. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, dem Opfer zu helfen oder beizustehen, ohne selbst in Gefahr zu geraten, wie die folgenden Punkte zeigen:
  2. Mithilfe fordern 
    Herr R. sollte allfällige andere Passanten ansprechen, denn nur so findet er rasch andere Menschen, die ebenfalls einzugreifen bereit sind. Auch wenn Herr R. alleine unterwegs ist, kann es beispielsweise sein, dass die Gäste einer After-Work-Bar eine Strasse weiter auch Schreie gehört haben und auf seinen Aufruf hin bereit sind, Herrn R. zu unterstützen. Herr R. soll andere konkret zur Hilfe aufzufordern: «Sie dort mit dem weissen Hemd, helfen Sie mir!». Grundsätzlich ist Herr R. in einer Gruppe stärker als alleine und die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass die beiden Täter angesichts mehrerer Personen vom Opfer ablassen und flüchten.
  3. Genau hinsehen 
    Worum ging es? Wer hat was gesagt? Wer hat wen (zuerst) geschlagen? Bei einem Überfall oder bei einer Schlägerei geht es zuerst immer darum, dass das Opfer geschützt und umsorgt wird. Die Verfolgung der Täterschaft hat zweite Priorität. Wie oben erwähnt, sollen Zeugen aber nur helfen, wenn sie sich dabei nicht selbst in Gefahr bringen. Ist dies nicht gewährleistet, kann Herr R. helfen, indem er Hilfe holt, die Polizei benachrichtigt und seine Beobachtungen später im Rahmen einer Zeugenaussage der Polizei mitteilt. Für die Strafverfolgung ist es ausserordentlich nützlich und wichtig, dass sich Zeugen zur Verfügung stellen, um so die Identifizierung der Täterschaft sowie die Rekonstruierung des Tatherganges zu ermöglichen.
  4. Hilfe holen 
    Wenn eine Situation zu eskalieren droht oder die Prügelei bereits in vollem Gange ist, wie diejenige in Herr R.s Geschichte, so sollte Herr R. umgehend die Polizei anrufen! Wer Zeuge eines gewaltsamen Vorfalls wird, sollte sich nicht scheuen, den Hörer in die Hand zu nehmen und 117 zu wählen. Im Zweifelsfalle gilt: Lieber einmal zu viel als einmal zu wenig die Polizei kontaktieren.
  5. Opfer versorgen 
    Dass Herr R., der kurz vor seiner Pensionierung steht und in einer Rauferei physisch benachteiligt wäre, bei einer Gewalttat nicht eingreift, ist verständlich. Eigentlich spielt es aber keine Rolle, wie jung und stark oder alt und gebrechlich jemand ist, denn bei gewalttätigen Handlungen sollte man nie versuchen, den Helden zu spielen. Schliesslich weiss man nicht, ob die Täter nicht möglicherweise bewaffnet sind. Nichtsdestotrotz sollte Herr R. in der Nähe warten, um dem Opfer zu helfen, sobald die Täterschaft verschwunden ist. Dabei ist es wichtig, sich dem Opfer vorzustellen und ihm beruhigend zur Seite zu stehen: Ihm zu sagen, dass die Polizei und Ambulanz auf dem Weg sind und dass die Täterschaft weg ist.
  6. Zeugenaussage machen 
    Wenn die Polizei am Tatort eingetroffen ist, sollte sich Herr R. aktiv als Zeuge des ganzen Vorfalls zur Verfügung stellen und seine Kontaktdaten der Polizei mitteilen. Vielleicht hat Herr R. ein entscheidendes Detail beobachtet, das zu den Tätern führen könnte. Weitere potentielle Opfer werden es Herr R. danken.

Das Beispiel des Herrn R. verdeutlicht, wie plötzlich man sich in einer Situation wieder finden kann, die zivilcouragiertes Handeln verlangt. Die oben genannten sechs Schritte zeigen, was man selbst und mit Hilfe seiner Mitmenschen in solchen Momenten konkret machen kann, um jemandem in Not zu helfen. Man muss kein muskelbepackter und bewaffneter Kampfsportler oder eine durchtrainierte Kickboxerin sein: Jede und jeder kann helfen und muss es deshalb auch! Das Gegenteil von couragiertem Verhalten wäre, wenn Herr R. einfach so weiter spaziert wäre und den Jugendlichen hilflos seinem Schicksal zu überlassen hätte. Das wäre nicht nur moralisch verwerflich, sondern auch strafrechtlich verfolgbar!

Mehr Hintergrundinformationen zum Thema «Zivilcourage» sowie wichtigen Organisationen, die sich auch mit dieser Thematik beschäftigen, finden Sie in der Broschüre «Bitte misch dich ein!» der Schweizerischen Kriminalprävention, die zudem erklärt, warum Zivilcourage für unsere Gesellschaft – und nicht nur für ein betroffenes Opfer von Gewalt so wichtig ist. Als Ergänzung zur Broschüre hat die Schweizerische Kriminalprävention den Film «Rote Karte» produziert, der auf humorvolle Art und Weise die Wichtigkeit von Zivilcourage im Alltag herausstreicht.

Kategorien: Zivilcourage

Diese Seite verwendet Cookies. Erfahren Sie in unserer Datenschutzerklärung mehr darüber, wie wir Cookies einsetzen und wie Sie Ihre Einstellungen ändern können: Datenschutzerklärung