| Chantal Billaud

… oder wie man Kinder und Jugendliche über die rechtlichen Grenzen von Pornografie informieren darf oder eben nicht.

«Wegen Porno-Videos: Doppelt so viele Teenager verurteilt. Das Teilen von Sexvideos unter Jugendlichen erreicht neue Dimensionen. Im Kanton X nimmt die Zahl der Verurteilungen stark zu.»

«Schüler-Handys sind voll mit Porno­grafie. Die Zahl der Anzeigen gegen ­Jugendliche wegen Sexting nehmen stark zu. Bei Ermittlungen müssen teils halbe Schulklassen ihre Handys abgeben.»

«Bei einem Schüler eines Gymnasiums in Appenzell ist kinderpornografisches Material aufgetaucht. Der entscheidende Tipp kam vom FBI.»

Solche und ähnliche Schlagzeilen findet man seit ein paar Jahren regelmässig in den Medien, ­sobald die Urteils- oder die Anzeigestatistiken publiziert werden oder ein spezieller Fall an die Medien herangetragen wird.

Ist die Jugend ausser Rand und Band, oder was geschieht hier eigentlich?

Wir sind überzeugt, dass die Jugend von heute weder mehr noch weniger an Pornografie interes­siert ist als die vorhergehenden Generationen. Der Unterschied liegt natürlich im Internet. ­«E-commerce is p-commerce» – dieser Spruch ist schon fast so alt wie das Internet, und er hat sich bewahrheitet. Pornografie ist sehr verbreitet im Netz. Und jede Person hat mehr oder weniger freien Zugang, ob man nun 100 Jahre zählt oder 10. Der Jugendschutz im Internet ist inexistent. Seit mit dem Smartphone das Internet in der Hosentasche von fast allen ständig nutzbar ist und auch die elterliche Kontrolle kaum mehr greifen kann, sehen sehr viele Jugendliche Pornos und machen sich auch auf das eine oder andere aufmerksam, versenden sie also auch.

Zudem: Jugendliche nutzen grösstenteils amerikanische Social-Media-Plattformen für ihre Kommunikation untereinander. Alle US-Plattformen werden automatisiert nach illegaler Pornografie gescannt. Entsprechende Treffer werden polizeilich gemeldet und die IP-Adressen der Verbreitenden dieser illegalen Dateien in die betroffenen Länder geschickt. Schickt nun also P. (12) seinem Kollegen F. (13) ein «witziges» Video, das zeigt, wie ein Esel eine Frau penetriert, so kann dies eine automatische Meldung an die US-Behörden generieren, und die Kantonspolizei muss nach Erhalt der Information aus den USA ausrücken, da es sich hier um Offizialdelikte handelt. P. wird verzeigt wegen Verbreitung illegaler Pornografie, F. wegen Besitz.

In der Schweiz ist Kinderpornografie verboten, da wird kaum jemand etwas dagegen haben. ­Jugendliche nutzen die Foto- und Kamerafunktion ihrer Smartphones auch für Sexting, auch wenn sie unter 16 Jahre alt sind. Werden diese Bilder – willentlich oder nicht – verbreitet und die US- oder CH-Behörden bekommen Kenntnis davon, so folgt ein Strafverfahren, und zwar auch wegen Produktion von Kinderpornografie.

Gemäss Polizeilicher Anzeigestatistik 2022 wurden über 1000 Minderjährige wegen Verstoss gegen Art. 197 StGB (Pornografie) angezeigt.

Ob die Gesetzgebung und deren Anwendung sinnvoll ist oder nicht, ist hier nicht Thema. Wer sich daran stört, muss über den politischen Weg Änderungen anstossen.

Wir haben dennoch den Auftrag, Minderjährige über die Gesetzeslage zu informieren. Natürlich wird sie das nicht vom Pornoschauen abhalten. Aber sie wissen im besten Fall, was sie riskieren, wenn sie die Clips weiterleiten oder Sexting-Videos oder Bilder verschicken.

Wir haben dies unter anderem mit der neuen Webseite www.nicht-ok.ch versucht.

Und sind ein wenig erstaunt über den rauen Wind resp. die rauen Kommentare, die uns von einigen Leuten erreichten. Es sind wenige Stimmen, aber sie sind laut. Einige sind entsetzt und empört und werfen uns schwarze Pädagogik oder Angstmacherei vor. Auch, dass wir ganz normales Verhalten von Jugendlichen kriminalisieren würden.

Wir nehmen konstruktive Kritik ernst. Und möchten hiermit darauf reagieren:

  1. Wir finden es sehr befremdlich, dass eine Trickfilmfigur für gewisse Personen eine grössere Bedrohung darzustellen scheint als die Tatsache, dass unsere Kinder unter 16 Jahren flächendeckend mit allen Formen von Pornografie konfrontiert werden.
  2. Die «Türsteherfigur» als Form von Autorität – die eben grad nicht die Polizei ist! – und ihre wundersame Verwandlung am Ende ist selbstverständlich auch humoristisch und mit einem Augenzwinkern zu verstehen. Wir haben die Umsetzung an zirka 20 Jugendlichen «getestet» und niemand fühlte sich bedroht, die meisten fanden die Umsetzung sehr witzig. Wir haben aber gelernt, dass nicht alle diesen Humor teilen und respektieren das. Allen Leuten recht ­getan, ist eine Kunst, die auch die SKP nicht kann.
  3. Wir können das Argument nicht nachvollziehen, dass wir Verhalten kriminalisieren würden, da das Gesetz das beschriebene Verhalten ja bereits unter Strafe gestellt hat.
  4. Wir haben keinen sexualpädagogischen Auftrag und Ansatz. Einige Rückmeldungen von Sexualpädagog:innen machen uns das zum Vorwurf. Wahrscheinlich haben wir zu wenig informiert über den Einsatz unserer Materialien und den Kontext, anders können wir uns diesen Vorwurf nicht erklären. Selbstverständlich ist es richtig und wichtig, dass Jugendliche über Sexualität und Pornografie reden sollen, den Unterschied lernen, nicht beschämt werden und sich bei Unsicherheiten an Fachleute wenden können. Unsere Form von Kriminalprävention verstehen wir nicht als Konkurrenz oder schon gar nicht als Ersatz, sondern als komplemen­täres Angebot. So wird es denn auch eingesetzt.
  5. Wir würden die Zielgruppe verfehlen, hiess es ab und zu. Wir haben die Zielgruppe der 10- bis 16-Jährigen gewählt, da die angesprochenen Informationen diese Altersgruppe betreffen. Wir wissen um die Heterogenität dieser Bevölkerungsgruppe und darum auch, dass sich ­einige angesprochen fühlen, andere nicht. Das ist aber eine Schwierigkeit bei fast allen ­Präventionskampagnen, und es erstaunt uns, dass einige Kritiker:innen das nicht verstehen.

Vielleicht helfen diese Ausführungen für mehr Verständnis.

Kategorien: Medienkompetenz

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