| Chantal Billaud

Berichten die Medien von einem Online-Betrugsdelikt mit einer hohen Schadenssumme, folgen die fleissigen Kommentarschreiberlinge auf dem Fuss mit oft verachtenden Bemerkungen wie: «Wie dumm und naiv muss man sein?», «Das weiss doch jedes Kleinkind, wer fällt auf sowas noch rein?» oder «Mir könnte das nie passieren!».

Bei der Schweizerischen Kriminalprävention melden sich täglich Betrugsopfer. Auch wenn wir keine wissenschaftliche Studie zitieren können, zeigen unsere Erfahrungen mit Betroffenen ein anderes Bild: Betrugsopfer sind bei weitem keine homogene Bevölkerungsgruppe und zeichnen sich auch nicht durch tiefere Intelligenz oder höhere Naivität aus. Eine Gemeinsamkeit können wir aber feststellen: Sie wurden alle im einem schwachen Moment erwischt, mit Betonung auf Schwäche und auf Moment.

Sind Sie wirklich gefeit davor, auf einen Betrugsversuch hereinzufallen und dies immer?

Stellen Sie sich diese Frage anhand vier – bereits von der Kirche formulierter – Schwächen, denen viele von uns ab und zu unterliegen und auf die darauf ausgerichteten Betrugsformen:

Superbia – CEO Fraud

Auf den Hochmut oder die Eitelkeit zielt der CEO Fraud ab: Stellen Sie sich vor, Sie seien engagiert, auf der Karriereleiter im mittleren Kader als Finanzverantwortliche*r einer florierenden KMU. Sie bekommen kurz vor Feierband eine Mail Ihrer Vorgesetzten mit der dringenden Bitte, einen hohen Betrag an einen wichtigen Partner in Singapur auszulösen. Es sei eminent wichtig für die ganze Firma und Sie seien verantwortlich, dass dieses Geschäft rasch erledigt würde, ansonsten drohe der Firma ein grosser Verlust. Sie wissen, dass ein Geschäft mit Singapur hängig ist und der Email-Verkehr scheint stimmig. Das Vieraugenprinzip, das für Transaktionen in dieser Höhe vorgeschrieben ist, kann aus Zeitgründen nicht durchgeführt werden, Ihr Chef hat das in der Nachricht vorweggenommen. Sie haben zwar ein komisches Bauchgefühl und dennoch: Es ist dringend, SIE haben es in der Hand, dass der Deal zustande kommt, von IHNEN hängt es ab, dass die Firma ein gutes Geschäft macht, Ihre Vorgesetzte vertraut IHNEN die wichtige Angelegenheit an!

Hätten Sie auf die internen Vorschriften beharrt, die Zahlung nicht ausgelöst und weitere Abklärungen getätigt?

Avaritia – Vorschussbetrug

Jede Form von Vorschussbetrug kann nur funktionieren, wenn der Geiz oder die Habgier den kritischen Geist (kurzfristig) ausblendet: Sei es die wahnsinnige Anlagemöglichkeit in Kryptowährungen, die angeblich bereits Roger Federer noch reicher gemacht hat, sei es der Hauptgewinn der spanischen Lotterie, den Sie erhalten sollen (obwohl Sie gar nicht mitgespielt haben), sei es eine Erbschaft des nie gekannten reichen Onkels aus Kanada, sei es ein Superschnäppchen auf einer Kleinanzeigeplattform oder auch die lang erträumte Penthouse-Wohnung am Zürichsee für CHF 700.–/Monat: Bei all’ diesen Betrugsformen können Sie Geld sparen, ein tolles Geschäft machen oder einen hohen Gewinn einkassieren und auch Sie haben nun endlich mal Glück. Sie müssen aber immer rasch reagieren, zugreifen, die Gelegenheit beim Schopf packen! Und in jedem Fall sind Sie im Nachgang ärmer an Geld und reicher an schlechten Erfahrungen.

Luxuria – Sextortion / Romance Scam

Auf die Wollust, die Genusssucht, das Begehren – auch nach Zweisamkeit – zielen Sextortion, aber auch der Romance oder Love Scam ab: Wer hat sich nicht schon nach der grossen Liebe gesehnt? Und wenn dann der Traumprinz im Internet anklopft und seine ganze Energie in die Umwerbung steckt und alles macht, um zur geliebten Person reisen zu können, gibt man schon mal Geld aus, um die Reise möglich zu machen, auch wenn noch so viele Hürden zu überwinden sind.

Und wer ist nicht schon mal nachts alleine am Computer gesessen, sexuell ausgehungert oder schlicht übermüdet und vom Alltag frustriert? Und wenn dann die attraktive Blondine aus Minsk genau Sie anschreibt und Ihnen eine kleine erotische Ablenkung verspricht, können Sie dann widerstehen? Immer? In beiden Fällen ist die Ernüchterung brutal. Sie wurden emotional und finanziell geschädigt, schämen sich und fürchten die Folgen der kurzen oder längeren Verblendung.

Acedia – Money Mule

Schlussendlich gibt es auch Betrugsversuche, die funktionieren, wenn potentielle Opfer mit dem Schwachpunkt Faulheit zu kämpfen haben, z.B. der Money Mule-Versuch. Sie brauchen Geld, suchen Arbeit und sehen im Netz ein verlockendes Inserat. Sie müssen nichts anders tun, als Ihr Bankkonto für Transaktionen zur Verfügung stellen oder aber nur Postsendungen in Empfang nehmen und weiter verschicken; schon «verdienen» Sie ein paar Tausend Franken im Monat. Wer kann da widerstehen, wenn das Ziel ist, mit möglichst wenig Aufwand möglichst viel Geld zu bekommen? Der Widerstand regt sich dann aber wahrscheinlich spätestens, wenn Sie wegen Hehlerei oder Geldwäscherei verklagt werden, denn genau dazu wurden Sie missbraucht.

Mit diesem kurzen Exkurs in die Kirchen- und Kriminalitätsgeschichte sind Sie im besten Fall gefeiter gegen Internetbetrug, aber vielleicht auch gegen voreilige Verurteilungen von Betrugsopfern.

Kategorien: Betrug

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